Eugen Ruges Romandebüt In Zeiten des abnehmenden Lichts ist ein großer Familienroman, der es versteht die gesamte Ostdeutsche Geschichte in den Erlebnissen dieser vier Generationen einer Familie widerzuspiegeln. Er bekam dafür zu Recht den Deutschen Buchpreis – endlich ein DDR-Roman, der unterhaltsam, komplex und lehrreich zugleich ist!
von ANNE-MAY MÜLLER
Eugen Ruge, der 1954 im Ural geboren wurde und im Alter von zwei Jahren mit seinen Eltern in die DDR kam, um dann in Ost-Berlin aufzuwachsen, debütiert nun im Alter von 57 Jahren mit seinem ersten Roman und sorgt damit gleich für Furore. Erst bekam er 2009 den Alfred-Döblin-Preis für das Manuskript dieses Romans und nun im Herbst 2011 sowohl den „aspekte“-Preis als auch den Deutschen Buchpreis.
Als großer Deutschlandroman gefeiert, erzählt dieses Buch anhand der Geschichte einer einzigen Familie mehr von der DDR, als viele andere Romane über diese Zeit, die krampfhaft versuchen, soviel Ideologie und drastische Wirklichkeit wie nur möglich, in sich zu vereinen und dabei oft doch recht angestaubt, plump und irgendwie unnahbar daherkommen, kurz gesagt den Leser nicht berühren können.
In Zeiten des abnehmenden Lichts schafft es hingegen, dem Leser mit einer unglaublichen Leichtigkeit die Lebensbedingungen in Ost-Deutschland näherzubringen. Dies geschieht eigentlich schon fast nur so nebenher, während der Leser gebannt die Einzelschicksale der Protagonisten verfolgt und einen immer tieferen Einblick in die Familienstruktur erlangt.
Die Geschichte beginnt im Jahr 2001: Alexander Umnitzer hat kürzlich einen längeren Krankenhausaufenthalt hinter sich gebracht und besucht nun seinen senilen Vater Kurt. Seine Frau Irina, Alexanders Mutter, ist inzwischen verstorben. Kurt ist geistig praktisch nicht mehr anwesend und muss täglich von einem Pflegedienst versorgt werden. Bei Alexander wurde Krebs diagnostiziert, inoperabel.
Dann ein Zeitsprung. Mexiko, im Jahr 1952. Das zweite Kapitel erzählt von Charlotte. Charlotte ist Kurts Mutter, Alexanders Großmutter. Sie lebt seit dem Ende der 30er Jahre im Exil mit ihrem zweiten Mann Wilhelm Powileit und darf nun zurück nach Berlin kommen.
Erneut ein Zeitsprung. Es ist 1989 und der Blick ist auf Kurt und Irina gerichtet. Irinas Mutter Nadjeshda lebt bei ihnen. Irina wirkt unglücklich, von ihrem Leben angeödet und frustriert, trinkt heimlich und freut sich auf den Besuch ihres Sohnes Alexander. Doch Alexander kommt nicht, denn er ist in den Westen geflüchtet.
So beginnt sich langsam die Geschichte der Familie rund um Alexander Umnitzer aufzubauen. Immer weiter wird kapitelweise in der Familiengeschichte hin und hergesprungen, und hierdurch ein detailliertes Familienporträt gezeichnet. Der Fokus liegt hier jeweils auf einem anderen Familienmitglied, sodass der Leser nach und nach jeden einzelnen Protagonisten und dessen persönliche Lebensgeschichte kennenlernt sowie eine Einsicht in dessen Gefühlswelt erhält. Im Mittelpunkt stehen letztendlich die Männer der verschiedenen Generationen: Stiefgroßvater Wilhelm, Vater Kurt und Alexander. Wilhelm ist anfangs nur ein einfacher Handwerker und auch Charlotte hat nicht mehr vorzuweisen als ein paar Jahre Haushaltsschule, doch die Kommunisten erkennen, dass mehr in beiden steckt und so werden sie von der Partei gefördert. Nachdem beide einige Jahre im Exil verbracht haben, arbeiten sie am Institut der Künste. Charlotte wird letztendlich sogar Institutsdirektorin und Wilhelm bekommt an seinem 90. Geburtstag den goldenen Verdienstorden für sein Engagement in der Partei verliehen. Kurt ist wegen Kritik an der Außenpolitik Stalins in ein sibirisches Internierungslager verbannt worden, bringt es aber nach seiner Rückkehr in die DDR zu einem angesehenen Historiker und Schriftsteller. Seine russische Frau Irina ist allerdings eher unglücklich mit ihrem Leben und verfällt nach und nach dem Alkoholismus, der sie auch letztendlich umbringt. Alexander ist schon als Jugendlicher von der westlichen Kultur eingenommen und kann nicht viel mit der kommunistischen Lebenseinstellung anfangen. Er heiratet und zeugt einen Sohn, wird aber wieder geschieden. 1989 geht er in den Westen. 2001, als er erfährt, dass er todkrank ist, stiehlt er seinem Vater Geld, um nach Mexiko zu reisen, auf den Spuren der Erinnerungen an seine Großeltern. Erst dort, im fernen Mexiko kann Alexander zur Ruhe und mit sich selbst ins Reine kommen.
Das Buch zeichnet nicht nur einen intensives Bild darüber, wie es sich in der DDR lebte, sondern schildert anhand dieser vier Generationen einer Familie auch das Scheitern des Kommunismus‘. Passend zur Metapher des abnehmenden Lichts, nimmt auch der Glaube an das System der DDR und die Verinnerlichung der Ideologie von Generation zu Generation immer mehr ab. Während sich Wilhelm noch ehrenamtlich mit vollem Einsatz in der Partei engagiert und auch Kurt zumindest noch halbherzig in der Partei tätig wird, wird Alexander sogar zum Republikflüchtling. Die Kluften zwischen den einzelnen Generationen könnten kaum größer sein. Vielleicht ist das der Grund dafür, warum zusammen mit der DDR auch die Familie immer weiter auseinanderbricht.
Insgesamt ein sehr gelungener und lesenswerter Roman, der einem die Geschichte der DDR ein ganzes Stückchen näher bringt, ja, sie für den Leser sogar erlebbar macht. Gleichzeitig ist dieses Buch eine spannende Familiensaga, deren Geheimnisse und Verwicklungen sich erst ganz allmählich entschlüsseln lassen.
Deine Rezension animiert mich, dieses Buch auf jeden Fall zu lesen. Allerdings verrätst du ganz schön viel von der Handlung. Sonst eine wunderbare Rezension! Danke!
Ein wirklich gelungener Roman; das Hin- und Herspringen zwischen verschiedenen Zeitebenen ist zwar etwas gewoehnungsbeduerftig, ich hatte aber keine Probleme damit, dem Erzaehler zu folgen. Meine eigene Rezension: http://www.mytwostotinki.com/?p=3477