Tilman Spreckelsen begibt sich mit seinen insgesamt fünf Nacherzählungen berühmter Sagas auf eine fantastische Reise in die altnordische Vergangenheit. Dabei sind Figuren und Themen breit gefächert. Von blutrünstigen Familienfehden, über rachsüchtige Ehefrauen und weise Männer… ohne Bart.
von SILVANA MAMMONE
Isländer-Sagas sind keine mündlich überlieferten Volksdichtungen, ebenso wenig sind sie mit Sagen zu verwechseln, sondern wurden von konkreten Autoren verfasst und damals als anspruchsvolle Literatur angesehen. Ihren Anfang nimmt jede Erzählung an den sagenumwobenen Orten, über die sich Isländer bis heute die über tausend Jahre alten Geschichten erzählen. Hierbei vermischen sich Realität und Fiktion zu einer uralten Historie von individuellen Schicksalen.
Da gibt es beispielsweise den streitlustigen Grettir, der dutzende Konflikte und blutige Auseinandersetzungen heraufbeschwört, bis er eines Tages aus seiner Heimat verbannt wird. In seinen Abenteuern begegnet er mordlustigen Wiedergängern, die ihn mit einer unerträglichen und niemals zu besiegenden Angst verfluchen, sowie gastfreundlichen Trollen, welche ihm in seiner Einsamkeit zur Seite stehen. Ebenso bringen die Sagas außergewöhnliche Frauenfiguren hervor. Gudrun Osvifrsdottir überlebt jeden einzelnen ihrer vier Ehemänner, wobei sie nicht selten ihre Finger mit im Spiel hat. So wie die schöne und nicht minder stolze Hallgerd, die ihre Gatten reihenweise ermorden lässt, wenn diese sich ihrem Willen widersetzen oder sie unangemessen behandeln. Dabei sind die jeweiligen Handlungen der Charaktere interessant und ebenso amüsant zu beobachten. Hier greift ein Siebenjähriger nach einer spielerischen Niederlage auch mal zur Axt, Mord wird selbstverständlich mit Mord vergolten und wer Heu vom Nachbarhof stiehlt, sollte damit rechnen, dass der eigene innerhalb kürzester Zeit in Brand gesetzt wird.
Die Figuren und einzelnen Handlungsstränge sind zahlreich, sodass man als Leser nicht selten den Überblick verliert. Trotzdem hinterlassen diese Erzählungen ein aufregendes Bild der isländischen Vergangenheit, indem sie einerseits eine ernstzunehmende Darstellung der damaligen isländischen Kultur sowie der Gesetzes- und Ordnungsvorstellung vermitteln und andererseits aufregende Erzählungen sind, die eher an Abenteuer- und Heldengeschichten erinnern und demzufolge eine unterhaltsame Lektüre bieten.