Oskar Roehler ist ein deutscher Regisseur. Eines seiner bekanntesten Werke ist der Film Die Unberührbare. Der Film handelt vom Leben seiner Mutter Gisela Elsner, das grade am Ende immer einsamer und trauriger wurde.
Jetzt hat Roehler mit Herkunft seinen ersten Roman geschrieben. Auch er handelt von seiner Familie, diesmal von allen Mitgliedern. Allerdings handelt es sich eben nicht um eine Autobiografie, sondern das Buch ist mit „Roman“ bezeichnet. Hinzu kommt, dass auf einer der letzten Seiten die Bemerkung steht „Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden.“ Trotzdem stimmen bemerkenswert viele Daten mit dem Leben Roehlers überein: die Jahreszahlen, die Familienkonstellation, Eckdaten und mehrere andere Details.
von KATHRIN SCHÜßLER
Der Ich-Erzähler nennt sich Robert Freytag und ist das Kind von Nora Ode und Rolf Freytag. Die Eltern scheinen „echte 68er“ zu sein, wie man sie sich vorstellt. Die Streitgespräche zwischen den beiden sind bestimmt von politischem Hintergrund und sexueller Frustration, auch wenn sich selbige erst später einschleicht. Überhaupt ist der Roman sehr dialoglastig. Man merkt der Art Roehlers zu erzählen an, dass er als Filmemacher denkt. Oft fehlen nur Regieangaben und man hätte ein Drehbuch. Der Erzähler scheint zu versuchen, die eigene Geschichte noch einmal zu durchleben und sich möglichst detailgetreu zu erinnern, scheitert aber, weil er gleichzeitig den Eindruck erweckt, möglichst viel Distanz zwischen sich und das Erzählte bringen zu wollen. Sogar der Titel Herkunft scheint zu sachlich, zu steril und beschreibt trotzdem in einem einzigen Wort einen ganzen Lebensabschnitt eines Menschen.
Als Leser machen einen diese Gegensätze nervös, weil der Erzähler selbst nicht zu wissen scheint, ob man diese Geschichte lesen sollte.
Wenn erzählt wird, dass der damals vierjährige Robert mehr oder weniger zu seinen Großeltern abgeschoben wird, fühlt man, dass hinter dieser Geschichte weit mehr stecken muss, als die Erzählart vermuten lässt. Aussprüche wie „Deine Mutter hatte recht! Sie hätte dich damals abtreiben sollen!“, werden erwähnt, aber nicht so weit kommentiert, wie man es vermuten und von einem gesunden Menschen erwarten würde. Der Leser wird praktisch darüber informiert, dass die „Mutter“figur Nora Ode das Kind auf jede denkbare Art versucht hat zu verlieren und schließlich vom unfreiwilligen Vater eingeschlossen werden musste, um das Kind, Robert, zu schützen. Dass es sich bei Nora um eine Rabenmutter handelt, überrascht nach Die Unberührbare nicht, doch die Ausmaße sollten mehr schocken als sie es im Roman tun. Doch Roehler verliert sich in Übertreibungen, sodass man nicht mehr weiß, wie verlässlich der Erzähler ist. Nüchterne Schilderungen kollidieren mit überzogenen, ausweidenden Beschreibungen der einzelnen Familienmitglieder und ihrer Machenschaften.
Die Erzählung erstreckt sich über drei Generationen. Die Beziehung der Großeltern nach Kriegsende wird genauso unter die Lupe genommen wie die der Eltern, die nie wirklich mehr als eine Zwangsgemeinschaft zu sein scheint. Beide sind nicht gewillt, Eltern zu werden. Robert ist ein Unfall und bekommt es auch immer wieder gesagt. Seine Eltern wollen beide schreiben, engagieren sich, gehören der „Gruppe 47“ an und leben zumindest nebeneinander her, bis Nora Erfolg hat und flüchtet, ohne sich umzusehen. Bei den Großeltern hat der kleine Robert tatsächlich eine schöne Zeit, was als Leser – so traurig es ist – fast schon überrascht, weil es nicht ins Bild zu passen scheint.
Später kommt der 6-jährige Robert nach Berlin zu seinem Vater, wird dort aber vernachlässigt und später wieder an die Großeltern weitergereicht, was aber kein Stück besser ist. Er landet im Internat, experimentiert mit Drogen, lernt bei einer Mitschülerin ein heiles Familienleben kennen, was im Kontrast zu Roberts Leben skurril wirkt. Er rutscht ab, stiehlt, nicht zuletzt von seinem Vater, wird praktisch Zuhälter und Drogendealer in einem.
Es ist ein bewegtes Leben, das erzählt wird. Darüber lässt sich wohl kaum diskutieren. Ob dieser Roman allerdings das richtige Mittel dafür war von diesem Leben zu erzählen, sei dahingestellt. Vielleicht wird er ja doch noch zum Drehbuch.