Gyrdir Elíasson – isländischer Schriftsteller und diesjähriger Träger des Literaturpreises des Nordischen Rates – stellt in seinem Werk Ein Eichhörnchen auf Wanderschaft die Welt eines 8-Jährigen dar, der dem eintönigen Hofleben und der Lieblosigkeit seiner Eltern ausgeliefert ist.
von LINDA DUDACY
Sigmar, der kleine Hauptdarsteller dieses Werkes, versucht die Welt seiner Heimat jeden Tag neu zu entdecken. Der große Hof bildet dabei den Mittelpunkt des Geschehens. Er sucht mit Kinderaugen und viel Fantasie Abenteuer. Doch bleiben diese Tag für Tag aus. Selbst die kleinen Streiche, die er seinem Bruder spielt, scheinen niemanden zu bewegen, scheinen im Nichtstun der anderen unterzugehen. Seine Eltern, Björg und August, sind stets kurz angebunden und überlassen den Jungen sich selbst und der Monotonie auf dem Hof. Die Tagebucheinträge seiner Mutter fallen emotionslos und knapp zusammengefasst aus – sehr bezeichnend für das raue Landleben.
Soll der Zahnarztbesuch der Höhepunkt einer verlebten Woche eines Kleinkindes sein? Ein wenig Blut im Mund und ein Zahn weniger?
Innerhalb weniger Zeilen verwandelt Sigmar sich in das von ihm gemalte Eichhörnchen auf einem Blatt Papier. Das ist nicht nur absurd, sondern lässt den Leser kurzzeitig an der Glaubhaftigkeit des Buches zweifeln. Das Eichhörnchen packt all seine Habseeligkeiten, Kleiderbügel, Leselampe und Tagebücher in seinen Weidenkorb und macht sich auf eine Reise ins Unbekannte, weg aus der Leere der Heimat. Die fantastische Reise des Tieres fängt da an, wo Sigmars Realität stagniert.
Angekommen in der Stadt der Tiere, sucht es sich zuerst eine Wohnung, möbliert sie und kauft Nahrungsmittel. Am Abend wartet das Tagebuch auf seinen Eintrag und man findet auch endlich wieder den Bezug zu Sigmars Realität. Neben vielen kuriosen Bekanntschaften, freundet sich das Eichhörnchen mit einem Hund und einem Angorakater an. Die Alltäglichkeit der Stadt zeichnet sich durch Kino und Entdeckungsspaziergänge, eine Runde Kaffee und Smalltalk aus. Trotz der abenteuerlichen Welt einer Großstadt siegt am Ende doch die Sehnsucht nach der Heimat und das Eichhörnchen verlässt sein neu gewonnenes Zuhause. Er macht sich auf den Rückweg – dorthin wo Sigmar der Geschichte Leben einhauchte – zu dem Blatt Papier.
Das Werk zeichnet sich am Anfang eher durch kurze, nichtssagende Dialoge und zusammenhanglose Gedankengänge aus. Absurde Vorstellungen und Fantasien des Jungen treiben den Leser durch Leere und Stille. Alles ist bedeutungslos. Gyrdir Elíasson schreibt in kurzen, knappen Sätzen und behält sich stets eine gewisse Banalität und Einfachheit der Erzählung bei. Das mag mit Sicherheit das traurige Leben des Jungen darstellen, der hilflos nach Spaß und Unbekümmertheit sucht, lässt den Lesenden jedoch auch unbefriedigt und verwirrt zurück. Erzählt wird aus der Perspektive eines 8-Jährigen, im Schreibstil eines Erwachsenen. Diesen Sprung zurück in die kindliche Gedankenwelt schafft Elíasson nicht.
Die Wandlung zum wandernden Eichhörnchen gelingt dann jedoch recht gut. Die Perspektive bleibt die gleiche, die Art zu berichten auch. Man bleibt im Lesefluss, wenn man angesichts der brüchigen Gedankengänge überhaupt von „Fluss“ reden kann. Zwar muss man sich erst einmal daran gewöhnen, dass Hunde in Autos fahren und nervöse Hasen Brillen verkaufen, argwöhnische Bären Möbel anbieten und abgetrennte Menschenköpfe in Badewannen liegen, jedoch ist dies wesentlich spannender als der erste Teil.
Nach der erfolglosen Suche nach Abenteuern, bietet die Stadt mehr Aufregendes und Neues als der elterliche Hof auf dem Land. Das Eichhörnchen entdeckt, stellvertretend für den kleinen Jungen, eine Welt, die der eigenen so gegensätzlich erscheint. Geflohen aus der Hoffnungslosigkeit des Hoflebens findet der Junge nur in seiner Fantasie und der tierischen Großstadtwelt Erfüllung – Erfüllung der Träume, die sich nach kindlichem Spaß sehnen. Gyrdir Elíasson zeichnet die Welt eines 8-Jährigen, welcher der Langeweile so schmerzlich ausgeliefert ist, dass er in seiner Fantasie und einer Zeichnung Zuflucht sucht. Doch kann er auch dort nicht angekommen. So bleibt am Ende nur die Rückkehr zu Leere und Einsamkeit.