Ein Sonnensystem gescheiterter Existenzen, die um eine Sexpuppe kreisen

Gudrún Eva Mínervudóttirs aktueller Roman Der Schöpfer verspricht in seinem ersten Kapitel, dass er von Sexpuppen handelt. Allerdings bringt dieser Fakt eine Kuriosität mit sich: Sex und Erotik werden dabei vollkommen außer Acht gelassen. Mínervudóttirs Werk schildert die Existenz zweier Menschen, verloren in ihrem eigenen Leben, die durch einen Zufall zusammengebracht werden.

von NADINE ANIOL

„Der Schöpfer“ ist Sveinn, ein gescheiterter Kunststudent, der mit der Herstellung von Puppen, die erotischen Zwecken dienen, sein Geld verdient. Abseits jeglicher sozialer Kontakte gibt er sich in seinem eigenen Atelier völlig seiner Arbeit hin und schafft perfektionierte Abbilder von Frauen, die er an Kunden ohne Realitätsbezug verkauft. Allerdings hat er diesen bereits selbst verloren.

Durch einen Zufall trifft er auf die alleinerziehende Mutter Loa, die mit einem geplatzten Reifen vor seinem Haus gestrandet ist. Überfordert mit der Situation, einen sozialen Kontakt aufzunehmen, bittet er sie zunächst in sein Haus und verspricht ihr, sich später um ihren Reifen zu kümmern. Die vom Leben erschöpfte Loa, welche ein psychisch krankes Kind namens Margret großzieht, lässt sich auf ein Glas Wein einladen. Bei nicht genau rekonstruierbaren Gesprächen werden aus Gläsern Flaschen und die verlorene Frau schläft betrunken bei dem ihr fremden Sveinn ein.

Am nächsten Morgen trifft sie im verwirrten und verkaterten Zustand auf die Sexpuppen und beschließt kurzerhand eine Puppe mitzunehmen.

„Wenn Margret die Puppe bei sich hätte, wäre ihre Einsamkeit vielleicht nicht mehr so schmerzhaft. Die Puppe könnte womöglich dazu beitragen, dass sie ihre Isolation durchbrechen und sich zurück in die Welt tasten könnte.“ Loas Handlung ist geprägt von Verzweiflung, sie kann ihre Tochter Magret nicht mehr erreichen und sieht die Puppe als letzten Ausweg, um ihr zu helfen. Als Sveinn den Verlust seines Kunstwerkes bemerkt, beschließt er kurzerhand, Loa zur Rede zu stellen und somit treffen die Figuren zum zweiten Mal aufeinander. Schnell wird deutlich, dass sich beide in noch auswegloseren Situationen befinden, als zuvor.

Mínervudóttirs Roman ist geprägt von der Darstellung des Innenlebens beider Protagonisten. Durch ihr stilistisches Mittel, ein Ereignis abwechselnd aus beiden Perspektiven zu erzählen, löst die Autorin eine Empathie des Lesers für die Figuren aus. Der Leser befindet sich dabei in einem Zwiespalt, er kann sich nicht für eine Seite entscheiden, es fällt schwer, zu entscheiden, wer in diesem Szenario richtig oder falsch handelt, da jede Motivation auf ein tiefliegendes Problem zurückzuführen ist. Schnell wird klar, dass sowohl Loa, als auch Sveinn am Rande der Gesellschaft leben. Sie sind isoliert und verankert in ihrer eigenen Welt.

Ihre zufällige Zusammenfuhr scheint schicksalhaft zu sein, sie treibt den Leser in die Hoffnung, dass die Figuren gemeinsam ihr Leben in den Griff bekommen, sich gegenseitig Halt geben und zurück ins Glück finden. Allerdings geht dieser Vorgang eher schleppend voran, beide sind zu sehr in ihrer Einsamkeit verankert. Der Fakt, dass sich zwei Menschen aufgrund einer Sexpuppe wiedertreffen, gibt der Erzählung einen grotesken, zugleich aber einen witzigen Anstrich, die tragische Geschichte beider Figuren wird aufgelockert.

Mínervudóttirs Erzählung ist keine Liebesgeschichte, sie lässt das Ende offen und gibt keine genauen Hinweise auf die weitere Beziehung der Protagonisten. Der Leser wird gezwungen, sich selbst eine Meinung zu bilden, die Geschichte Revue passieren zu lassen und Indizien zu deuten. Der Roman ist eine Spiegelbilddarstellung unserer Gesellschaft, geprägt von Leistungsdruck, Geld, Erfolg und Urteilen, in der einige Individuen keinen Halt mehr finden und ziellos umherkreisen.

Gudrún Eva Mínervudóttir: Der Schöpfer
btb, 204 Seiten
Preis: 19,99 Euro
ISBN: 978-3-442-75254-6

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