„Genausogut könnte ich auf den Balkon treten mit der Absicht zu fliegen. Ich bin überzeugt, dass der das kann, der einfach losfliegt, ohne lange zu fragen, ob das nach den Naturgesetzen auch geht“, sagte A. einmal, als er überlegte, ob er bedingungslos lieben könne. Aber A. ist jetzt tot.
von ANDREA SCHAUMLÖFFEL
Mit Bilder von A. legt Barbara Honigmann einen Roman vor, der nur auf den ersten Blick nach typischer DDR-Literatur aussieht. Vielmehr zeichnet sie in ihrem neuen Werk ein facettenreiches Bild, das nicht nur die Titelfigur A. sowohl durchleuchtet als auch mystifiziert, sondern auch Einblicke in eine subkulturelle Strömung gibt, in der Politik und Kunst noch den höchsten Stellenwert haben. Bilder von A. ist einfach zu groß für die Nostalgieschublade. Und wo die Liebe da noch hineinpasst, wenn überhaupt, muss der Leser letzten Endes dann auch für sich entscheiden. Denn darum geht es vorrangig in dem Roman, und irgendwie auch nicht – die Liebe, dieses abstrakte Konzept, dem sich die namenlose Protagonistin und der 15 Jahre ältere Theaterregisseur A. im Ostberlin der 1970er-Jahre hingeben, immer darauf bedacht, es nicht Liebe, Freundschaft oder sonstwas zu nennen, und es auf keinen Fall zu dem auswachsen zu lassen, was für sie beide das Allerschlimmste bedeuten würde: zum grauen Alltag, in dem die Frage “Möchtest Du Käse oder Marmelade?” das Miteinander beherrscht, und in dem kein Platz ist für die Sphären der Poesie, wie Novalis sagt.
Aber A. ist jetzt tot, und die Erzählerin rekapituliert nachdenklich die letzten dreißig Jahre, die sie mit ihrem Geliebten, Mentor und Vertrauten verbrachte, wenngleich nicht immer in physischer Nähe – das wäre ein Ding der Unmöglichkeit, schließlich sind da ja noch A.s Frauen und die Kinder, und überhaupt –, sondern in einem fortdauernden Briefwechsel, der erst endet, als die ehemalige Studentin ihn abrupt abbricht. So schildert sie die erste Begegnung mit A., bei der sie ihre gemeinsame Leidenschaft für Heinrich von Kleist entdecken, erzählt von ihren waghalsigen Projekten am Theater, von A.s Portraits auf Regalbrettern, von dieser nebensächlichen Schwangerschaft und von der Kunst, der die beiden zwischen Kapitalismus und Sozialismus driftenden Seelen sich auf ewig verschrieben haben. Immer wieder jedoch kehrt die damals junge Frau zur Reflexion über den Mann mit dem außergewöhnlichen Namen zurück, diesem „blonden, blauäugigen Gewittergoi“, der so ganz anders ist als sie selbst. Sie erkennt langsam, dass auch sie eine ganz eigene, aus ihren jüdischen Wurzeln gesprossene Persönlichkeit besitzt, die es zu entfalten und weiterzuentwickeln gilt, wenn nötig auch ohne A. Aber ob ihr das gelingt?
Barbara Honigmann ist mit Bilder von A. jedenfalls ein großartiges Werk gelungen, das auf gut 130 Seiten vergeblich versucht, die zwischenmenschlichen Beziehungen der beiden Protagonisten zu benennen und einzuordnen. Gleichzeitig schafft sie es, die Zeit des Umbruchs vor der Wende eindrucksvoll wiederaufleben zu lassen, ohne mit zeitgenössischer Politik zu langweilen.
Die Verflechtungen von Emotionen, Kunst, Literatur und dem Drang nach politischer und persönlicher Freiheit arrangieren sich zu einem kurzweiligen Leseerlebnis, das dazu einlädt, hinter den Kulissen des oberflächlichen Mainstreams nachzuschauen und nicht nur nach einer Gegenkultur zu suchen, die den einen oder anderen gesellschaftlichen Wert in Frage stellt, sondern auch nach dem eigenen Ich zu forschen, das vielleicht irgendwo zwischen Käse und Marmelade wieder freigeschaufelt werden muss.