Franz Schuh verspricht uns in seinem Buch Der Krückenkaktus Reflexionen über große Geister, kleine Beobachtungen und ewige Themen. Ein ehrgeiziges Projekt, mit dem er grandios scheitert.
von TOBIAS THANISCH
Eine gewisse Neugier und gespannte Erwartung mag den Leser ergreifen, wenn er die neueste Veröffentlichung des österreichischen Autors Franz Schuh, den Krückenkaktus, aufschlägt und sich durch die ersten Seiten des Buches wühlt. Zwar bleibt der Zusammenhang zwischen dem hier bereits erläuterten Begriff Krückenkaktus (eine Wortneuschöpfung des Autors) mit dem Rest des Buches noch unklar (ein Zustand, an dem sich bis zur letzten Seite wenig geändert haben wird), doch der Leser fährt, auf weitere Aufklärung an geeigneter Stelle hoffend, mit der Lektüre fort. Dass er sich schon einige Dutzend Seiten später in einem unwegsamen, undurchschaubaren Textgestrüpp verstrickt haben wird, kann er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Aber alles der Reihe nach.
Franz Schuh verspricht uns im Untertitel seines Werkes mit einigem Pathos: Erinnerungen an die Liebe, die Kunst und den Tod. Das Wort „Erinnerungen“ deutet bereits einen latenten autobiografischen Kontext an, der sich auch tatsächlich in den verschiedenen Einzeltexten, aus denen sich das Buch zusammensetzt, ausmachen lässt. Ob und, wenn ja, in welchem Maße sich die anderen Themen ebenso leicht auffinden lassen, gilt es zu überprüfen.
Was erfahren wir also zunächst über „die Liebe“? Sowohl das Kapitel „Liebe und Tod“, wie auch „Kann denn eine Liebe Vorbild sein?“ befasst sich offenbar mit diesem Begriff. Wir erfahren dabei genauso viel (oder so wenig) über die Schlafgewohnheiten des Erzählers, wie über die Privatsphäre des verstorbenen Sexualforschers Ernest Bornemann, über Sartres Briefwechsel mit Simone de Beauvoir oder den sog. „Thai-Mädchen Eklat“ in einer ARD-Talkshow. Wem sich der Zusammenhang zwischen diesen verschiedenen Themen schon hier nicht recht erschließen will, hat bereits einen guten Einblick in die Situation, die sich notwendig beim Leser des Krückenkaktus einstellt. Die verschiedenen Anekdoten, Beispiele oder Argumente werden ohne jeden ersichtlichen Zusammenhang aneinander gefügt und allenfalls sporadisch kommentiert oder bewertet. Auf der Strecke bleibt dabei der irritierte (und wohl auch zunehmend genervte) Leser.
In ähnlicher Weise gestalten sich auch die Reflexionen über „die Kunst und den Tod“, wobei Letztere in aller Regel schnell zugunsten der Ersteren das Feld räumen müssen. Tatsächlich scheint es Franz Schuh „die Kunst“ in ganz besonderer Weise angetan zu haben. Oder wie lässt es sich sonst erklären, dass selbiger Begriff in kaum drei Sätzen bis zu acht Mal auftaucht, ohne dass der Satz dabei tatsächlich an Informationsgehalt zunehmen würde? Ein konkreter Kunstbegriff lässt sich bei den bunt durcheinandergewürfelten Zitaten kaum ausmachen. Daran ändern auch gelehrte Zitate wie etwa „Kunst ist die Eschatologie der Wirklichkeit im Hinblick auf die Aporie derselben“ nur wenig, zumal diese vom Autor z. T. recht abenteuerlichen Neuinterpretationen unterworfen werden.
Dies sind nicht die einzigen „ewigen Themen“ auf die Franz Schuh im Krückenkaktus eingeht, aber sie vermitteln so gut es eben geht einen Eindruck von dessen größtenteils sehr konfusem Inhalt. Betrachten wir den formalen Aufbau des Buches, so verstärkt sich der Eindruck von Zusammenhanglosigkeit noch weiter. Der Krückenkaktus besteht aus diversen Einzeltexten unterschiedlicher Länge, darunter Gedichte, kurze Erzählungen mit autobiografischer Färbung und Essays. Die Texte sind nur sehr bedingt aufeinander bezogen, was vermutlich der Tatsache geschuldet ist, dass sie nicht extra für das vorliegende Buch geschrieben, sondern vielmehr im Nachhinein zusammengefasst (oder besser zusammengewürfelt) worden sind. Dabei lässt sich nicht abschließend sagen, ob man nun als Leser für die eingestreuten Gedichte eher dankbar sein soll, weil sie die kaum noch nachvollziehbaren Gedankenwindungen des Autors unterbrechen, oder ob man sie als unverständlich und überflüssig rundweg verwerfen soll. Ein Gewinn entsteht durch die Gliederung des Buches in Einzeltexte nur insofern, als ein zusammenhängender Text von 250 Seiten vermutlich auch den geduldigsten Leser abschrecken würde.
Abschließend lässt sich nur sagen, dass Der Krückenkaktus wirklich keinem Leser, und sei er noch so motiviert, dem verworrenen Argumentationsgang zu folgen, zugemutet werden kann. Die schiere Masse an scheinbar wahllos eingestreuten Zitaten, Anekdoten und Aphorismen machen den Text nicht nur sperrig, sondern stellenweise schlichtweg nicht mehr sinnvoll nachvollziehbar. Dass der Text, trotz der vielfachen Bezüge zu anderen literarischen Werken, keine Fußnoten enthält (für welche Essayisten, wie uns die „Editorische Notiz“ am Ende des Buch erklärt, einfach „zu faul sind“), erschwert die Lektüre noch zusätzlich. Es bleibt also nichts weiter übrig, als mit dem Krückenkaktus das Gleiche zu tun, was man gemeinhin mit einem gewöhnlichen Zierkaktus zu tun pflegt, nämlich ein Schleifchen drum zu binden und ihn an eine ungeliebte Person zu verschenken. Schließlich ist bald schon Weihnachten.