Schnell, mit aller Gewalt, im Takt fliegender Projektile zieht Adams Fuge in die Schlacht und versucht, alles zu attackieren, was als sicher und gewiss gilt, letztendlich aber doch nur auf tönernen Füßen steht. Wenn nichts mehr festzustehen scheint und betonierte Grundpfeiler wie Gut und Böse, Freund und Feind, Familie, Glaube, Nationalität und Nationalismus, Liebe und Sexualität einfach nicht standhalten, so muss die Idee der eigenen Identität zusammenbrechen. Mutig probt Steven Uhly mit seinem zweiten Roman den Aufstand und scheitert – nicht nur an der Gewaltigkeit des Unterfangens.
von TOBIAS WEIßENBORN
Es war Ende August, als Adams Fuge (Secession Verlag für Literatur) seinem Autor zu nicht wenig medialer Präsenz verhalf. Sogar in die ARD Tagesthemen schaffte es der Roman. Ein wichtiger, längst überfälliger Beitrag zur sarrazinsch-beheizten Ausländer- und Integrationsdebatte ward gefunden. Vor dem Plot eines surrealen Agententhrillers baut sich ein facettenreiches Gefüge auf, in dem Klischees, Ressentiments und Vorstellungsbilder über Türken, Juden, Kurden und Deutsche blutig aufeinanderprallen, sich immer wieder ins Gegenteil verkehren oder ins Leere anwachsen, manchmal aber einfach als symptomatisch und wenig originell auf halber Strecke zum Erliegen kommen.
Der Deutschtürke Adam Imp flüchtet sich aus seinem tragischen Familienschicksal in das türkische Militär. Als er einen kurdischen PKK-Kämpfer und Doppelagenten der NATO erschießt, beginnt für Adam ein furioses Abenteuer. Das türkische Militär entsendet ihn nach Deutschland. Er hat einen scheinbar einfachen Auftrag: Die Entwickler eines türkenfeindlichen Videospiels ausfindig und unschädlich machen. Doch schnell findet sich der Geheimagent wider Willen in einem Netz, in dem auch der Mossad, die PKK, die CIA, die deutsche Kripo, der BND und eine Nazibande inklusive übergelaufene V-Männer verstrick sind. Vor allem letztere Fraktion verleiht Adams Fuge eine ganz neue Brisanz, beginnt doch langsam das politische und mediale Deutschland, das rechte Auge zu öffnen – aber der Blick bleibt verschwommen.
Uhlys V-Mann heißt Harald Lübbe. Er ist ein BND-Agent, der sich als Nazi verkleidet, der sich als Hippie verkleidet, und die rechte Szene ausspioniert, ihr als wertvoller Kamerad zur Seite steht und den BND ausspioniert. Harald Lübbe ist das erste Opfer des Geheimagenten Adam Imp. Es folgen noch viele weitere, und alle kehren sie zurück. Sie werden zu Begleitern Adams. Die Geister der Ermordeten brechen in die Identität ihres Mörders ein und lassen ihn nicht los. Das Töten ist eine Absurdität.
Der Roman eröffnet noch ein paar weitere Ebenen, abseits der provokant-überladenen Agentengeschichte. Die klischeehafte Familientragödie, die völlig lieblose Liebesgeschichte und ein einfallsloser Kampf mit der eigenen latenten Homosexualität verkommen zu Lückenfüllern. Das Buch legt ein wahnsinnig schnelles Erzähltempo an den Tag. Eine kurze, abgehackte und sehr anspruchslose Sprache treibt den überladenen Plot voran. Effekthascherei tritt in den Vordergrund. Adams Fuge ist ein Trash-Roman – und das ist schade. Das Buch kann den Anspruch, den es sich selbst zuschreibt, nicht erfüllen. Zu groß ist das Vorhaben, zu gering der Aufwand des Autors. Steven Uhly arbeitet sich nicht ab an den großen Themen seines Romans. Er lässt sie fallen, sobald sie angeschnitten wurden. Zerquetschte Hoden und durchschossene Schädeldecken ziehen die Konzentration auf sich. Darüber muss zwangsläufig die Absicht scheitern, die Ideen von Nationalität und Nationalismus ad absurdum zu führen. Der Identitätskampf verblasst und im großen Showdown sind die Kurden doch die Kurden, die Juden doch die Juden und die Türken doch die Türken.
Eine sehr schöne Rezension – ein lebendiger und rhythmischer Schreibstil, der sich gut lesen lässt, verbunden mit einem gut beegründeten Urteil, das sich vor hohen Ansprüchen nicht scheut 🙂
Ich bin nicht der Meinung des Autors. Ich habe “Adams Fuge” eher als einen Roman gelesen, in dem die äußere Welt und das innere Erleben des Ich-Erzählers ständig in Konflikt miteinander sind. Die Türken sind natürlich die Türken, aber gleichzeitig gibt es die Einzelansicht, und da, beim Individuum, stellt man schnell fest, dass ein Türke nicht einfach nur ein Türke, ein Jude nicht einfach nur ein Jude etc. ist, sondern dass jeder ein Mensch mit einer ganz eigenen Lebensgeschichte und Wahrnehmung ist. Das fand ich hervorragend gemacht. Da die Handlung aus der Perspektive eines – freilich changierenden – Ich erlebt wird, bietet sie die Möglichkeit, das Erleben in einen Bezug zur Rasanz der Handlung zu setzen: Das ganze ist ein Bericht, die Handlung des Romans umfasst höchstens drei Wochen plus der Kindheits-Vorgeschichte. Wie soll denn jemand erzählen, der, während er schrieb, noch inmitten dieser Problematik unterwegs war? Ich fand das Buch sehr überzeugend, an keiner Stelle wirkte es montiert, und das Überzogene, Groteske, Absurde lässt sich, bei näherem Hinsehen, problemlos dechiffrieren, so dass man doch immer genau weiß, wovon in Wahrheit die Rede ist.
Sowohl die Rezension als auch der letzte Kommentar haben mich trotz – oder gerade wegen – der unterschiedlichen Meinung neugierig auf den Roman gemacht. Ich finde, die Rezension ist sehr dynamisch geschrieben und die Argumentationsweise lässt sich, ohne das Buch zu kennen, gut nachvollziehen. Unnötig sind allerdings u. a. die häufigen Komma- und Flüchtigkeitsfehler (z. B. “türkenfeundlichen”). Sowas wirft kein gutes Licht auf den Verfasser, der ansonsten gut mit den Worten umgeht.