Und endlich ist auch noch die Mutter tot. Patrick Melrose hat aber auch wirklich lange genug gewartet. Während Vater David schon vor Jahren die Güte hatte, aus dem Leben abzutreten, blieb Eleanor hartnäckig lange unter den Lebenden.
Der Roman Zu guter Letzt von Edward St Aubyns schließt die Melrose-Saga ab.
von KATHRIN SCHÜßLER
Der fünfte und letzte Band Edward St Aubyns berühmter Melrose-Saga findet in at last – oder auf Deutsch zu guter Letzt – sein würdiges Ende. In Schöne Verhältnisse lernte der Leser Patrick als Fünfjährigen kennen und seine zutiefst englische Familie hassen. Vom zynischen Vater vergewaltigt, von der weltentrückten Mutter bestenfalls ignoriert, stolperte Patrick durch so etwas Ähnliches wie eine Kindheit, inklusive erster Selbstmordversuche, wenn auch eher unterbewusst und halbherzig absolviert. In Schlechte Neuigkeiten war es wie die Bestätigung einer dunklen Ahnung, Patrick als Drogensüchtigen wiederzutreffen, aber dafür durfte man dann unwillkürlich über den sehr abgeklärten Umgang mit dem Tod seines Vaters grinsen. Schließlich werden nicht alle sterblichen Überreste in einer brauen Papiertüte durch New York spazieren getragen.
Nette Aussichten führte die Linie weiter: Patrick beschließt, endlich einem Freund von den Vergewaltigungen und Misshandlungen zu erzählen. In boshafter, aber ehrlicher Manier begegnen wir in seinen Erzählungen einer Familie, für die „kaputt“ keine ausreichende Bezeichnung wäre. Und nicht nur die Familie scheint abstrus, auch bei der kompletten halb-adligen Gesellschaft, die uns auf jeder Seite entgegenkommt, hofft man schon beim Lesen, dass sie vollständig der Fantasie des Autors entsprungen ist und keinen Bezug zu einer Realität hat, die dann doch zu schrecklich in der Bandbreite der Oberflächlichkeiten wäre.
Muttermilch, der vierte Teil, steht seinen Vorgängern in nichts nach. Patrick, mittlerweile verheiratet, wird damit konfrontiert, dass seine Frau Mary ihn aus dem Ehebett verbannt und in der Mutterrolle das gegenteilige Extrem von Eleanor wird: besessen. Aber auch Eleanor selbst enttäuscht hier in ihrer Unberechenbarkeit nicht und konzentriert ihr Leben ganz auf einen New Age Guru, dem sie dann auch direkt mal ihren nicht unbeträchtlichen Besitz vermacht. Da soll sich noch mal jemand über die eigene Mutter beschweren.
Zu guter Letzt stellt die Geschehnisse rund um die Trauerfeier Eleanors und den anschließenden Leichenschmaus dar. Patrick ist enttäuscht, dass sich die Erleichterung, die er sich vom Verwaistsein versprochen hatte, nicht einstellt und ist sehr damit beschäftigt, von allen Anwesenden genervt zu sein.
Beherrscht wird der Roman von Dialogen, die so furchtbar böse sind, dass man beim Weglegen des Buches das dringende Bedürfnis hat, jemanden zu schlagen. Spätestens dann, wenn es an die klinisch anmutende Unterhaltung über Patricks Beschneidung geht, die sich auf einem Küchentisch ereignete und durch seinen betrunkenen Vater vorgenommen wurde.
Es wirkt, als würde ständig jemand dazwischenreden, wenn Patrick versucht abzuschließen und einen Heilungsprozess in Angriff zu nehmen. Besonders schön störend führt sich der schon aus den früheren Büchern bekannte Nicholas auf, ein alter Mann von der Sorte, die Kindern Luftballons zerpiekst. Sein Pendant besteht aus Patricks strohdummer Tante Nancy, deren einzige Gedanken, wenn man ihren Hirnschiss (Entschuldigung, aber der Begriff passt) so nennen kann, ihrem einstigen Reichtum gelten.
Auf etwas über 200 Seiten findet die Melrose-Saga ein sehr passendes Ende. Denn wieder läuft alles schief, wieder ist alles nur von Äußerlichkeiten bestimmt und wieder bewundert man Patrick. Und das, obwohl er ein absoluter Antiheld ist. Aber in dem Urwald der so skurrilen Charaktere ist er einfach der einzige, dem man trotz verpfuschter Kindheit, Drogenkarriere, kaputter Ehe und wohl ungesundester Eltern-Kind-Beziehung in der Geschichte der Literatur, so etwas wie Menschlichkeit unterstellt. Für seine Vergangenheit muss man es ihm hoch anrechnen, dass er relativ nüchtern über seinen, in zu guter Letzt ein Jahr zurückliegenden, letzten Selbstmordversuch denkt. Denn nüchtern ist in seiner Familie einfach ein unbekannter Zustand.
Ein großer Wermutstropfen ist die sogenannte Leistung der Übersetzerin. Zwar bleibt der herrlich britisch-schwarze Charakter der Erzählung bestehen, aber eigentlich eher durch den Plot, nicht durch die Sprache. Dass Ironie nicht nur Patricks Zuflucht ist, sondern auch die Edward St Aubyns, geht leider verloren.
So scheint es unerklärlich, wie aus
“Forget heroin,” he says. “Just trying to give up irony, that deep down need to mean two things at once, to be in two places at once, not to be there for the catastrophe of a fixed meaning.“
so etwas Lustloses wie
„Das ist die schlimmste Sucht von allen. Vergiss Heroin! Versuch erst mal, von der Ironie loszukommen.“
geworden ist.
Waren die Übersetzungen von never mind („Schöne Verhältnisse“) und bad news („Schlechte Neuigkeiten“) recht nah am Original, liess some hope („Nette Aussichten“) sehr zu wünschen übrig. Mother’s milk („Muttermilch“ – wer hätte es gedacht?) machte wieder Hoffnung, die jetzt furchtbar enttäuscht wird. Warum man sich nicht wieder dem vorigen Übersetzer zugewandt hat, ist ein Rätsel; aber Rätsel wirft der Roman ja ohnehin einige auf.
Insgesamt ist die Melrose-Saga, und zu guter Letzt mit ihr, eine phantastisch gut geschriebene Gesellschaftssatire, „Familien“-schilderung und außerdem Verarbeitung der angeblich wahren Lebensgeschichte Edwars St Aubyns. Aber darüber möchte man nicht nachdenken. Denn wie nach jedem Band der Reihe, ist man auch bei zu guter Letzt froh, wenn die letzte Seite gelesen ist und man in seine erstaunlich langweilige Welt zurückkehren kann. Dass das Leben eines Menschen tatsächlich so verlaufen sein könnte, ist eine Vorstellung, die Einem kalten Schauer über den Rücken jagt. Deshalb ist es zwar spannend, darüber zu lesen, man möchte die sprachlich genial geschilderten Aberwitzigkeiten und menschlichen Tiefschläge aber doch lieber in der literarischen Fiktion angesiedelt wissen.
Nur schade, dass Patricks Geschichte erzählt zu sein scheint. Denn ganz ehrlich, auch wenn man mit jeder letzten Seite erleichtert abschließt, so ist auch jede erste Seite immer wieder aufs Neue richtig, richtig gut.