Genau 50 Jahre nach ihrem Tod werden Notizen der H.D., erstmals mit deutscher Übersetzung, bei Roughbooks veröffentlicht. Es sind zwei essayistische Schriften, ergänzt durch vier lyrische Werke aus einem Gedichtband, die in einem kleinen Büchlein unter dem Titel Denken und Schauen: Fragmente der Sappho zusammengefasst wurden.
Von GERALDINE GAU
Die US-amerikanische Schriftstellerin Hilda Doolittle ist unter der Abkürzung H.D. bekannt, wobei “bekannt” ein relativer Begriff ist. Da ihre Schaffenszeit bereits mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegt und bis heute wenige ihrer Werke ins Deutsche übersetzt wurden, dürfte sie wohl nicht vielen ein Begriff sein. Zwischen 1918 und 1951 schrieb sie zahlreiche Gedichte und Romane, von denen die Reihe Madrigal zu ihren bemerkenswertesten gehört. Sie besteht aus vier autobiographisch geprägten Romanen und thematisiert Kunst und Liebe im Schatten des Krieges. Seit 2008 gibt es sogar eine deutsche Fassung des Romans Bid me to live unter dem Titel Madrigal. Sie ist weiterhin für ihre Übersetzung und freie Bearbeitung griechischer Literatur bekannt.
Unter anderem beschäftigte sie sich mit der Lyrik von Sappho, von der heute nur noch geringe Teile ihrer Dichtung erhalten sind, die jedoch, wie H.D. selbst betonte, ein Vorbild und stilprägend für sie war. Dieser Beschäftigung mit der antiken Schriftstellerin ist auch die kleine Sammlung Denken und Schauen: Fragmente der Sappho auf der Spur.
Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Dabei befinden sich auf einer Doppelseite jeweils die originalen Texte und deren deutsche Übertragung. Anmerkungen des Herausgebers machen hierbei auf eventuelle Unzulänglichkeiten des deutschen Textes aufmerksam und regen so zu einem Blick auf das Englische an. Der erste Teil trägt den Titel „Notes on Thought and Vision“, übersetzt mit „Notizen über Denken und Schauen“. Im Ganzen ist dies eine Art Selbstreflexion der Autorin, die versucht, sich über die Entstehung von Kunst mit der Frage, ob der Schöpfer durch Inspiration oder durch Denkleistung zu seinem Werk kommt, klar zu werden. Des Weiteren beschreibt sie ihre persönliche Erfahrung beim Schreibprozess und versucht den Impuls in ihrem Körper zu verorten. Sie erklärt, dass der menschliche Verstand sich nach ihrer Meinung aus Körper, Geist und Übergeist zusammensetzt und Kunst nur dann entsteht oder richtig rezipiert wird, wenn der Übergeist dominant ist. Die genaue Bedeutung des Wortes „Übergeist“ lässt sich jedoch nur erahnen.
Der zweite Teil, „The Islands. Fragments of Sappho“, behandelt Leben und Werk der Dichterin Sappho aus der Sicht H.D.‘s. Sie schwankt dabei zwischen Beschreibungen der Werkinhalte und des Lebens der Sappho und Einschätzungen derselben, driftet zuweilen auch ins Philosophische ab. Sie sieht Sapphos Empfindsamkeit und vor allem ihre Art, dies in Gedichten zu transportieren als größtes Talent, aber auch als Grund für die spätere Ächtung ihrer Poesie. Dabei nutzt sie immer wieder das Wort „gefühlsklug“ um ihre besondere Art von Genie zu unterstreichen. Schließlich fügen sich noch vier Gedichte von H.D. an, die aus dem Sammelband „Heliodora and Other Poems“ entnommen sind und aus Zitaten Sapphos entstanden.
Die ersten beiden Teile dieser Sammlung waren ursprünglich gar nicht für eine Veröffentlichung vorgesehen. Es sind vielmehr private Notizen der Autorin über ihren Werkgegenstand, die sich nicht an eine Leserschaft richten. Das hat natürlich zur Folge, dass es keine Erklärungen und keine Hintergrundinformationen gibt, die einem Leser, der nicht so tief in der Materie steckt, das Verständnis erleichtern würden. Der erste Teil, der separat von der Literatur entstand und daher noch am wenigsten Vorwissen verlangt, ist sehr abstrakt. Hier fehlt zu Beginn eine deutliche Begriffsklärung, um der Argumentation folgen zu können. Dennoch gibt es einige spannende Thesen, die durchaus plausibel erscheinen. Der zweite Teil gestaltet sich noch zäher. Ständig fallen unbekannte Namen, Wissen über Ereignisse wird vorausgesetzt und persönliche Ansichten werden als selbstverständlich behandelt. Auch die Gedichte schweben etwas losgelöst im Raum und scheinen verschlossen, verweigern den Zugriff.
Als Einstieg in die Lektüre H.D.s oder Sapphos ist dieses Buch also denkbar ungeeignet. Dennoch gibt es Einblicke, die H.D. als bemerkenswerte Autorin erscheinen lassen und die Neugier auf ihre Prosatexte wecken. Auch, wenn man das Buch als Ergänzung zu ihren anderen Werken sieht, ist es sicherlich eine Bereicherung.