In den Kurzgeschichten von Alles zerstört, alles verbrannt offenbart Wells Tower in präzisen Darstellungen und eigentümlichen Metaphern eine Welt, die nicht nur zwischen den Zeilen vom Scheitern erzählt. Von Stefanie Kähne
Das Erscheinen der gesammelten Erzählungen hatte in Amerika eine breite Rezensionswelle ausgelöst, die allgemeine Begeisterung und hochrangige Vergleiche mit Hemingway, Carver und David Foster Wallace anspülte. Was könnte die Kritiker*innen zu diesen Lobeshymnen motiviert haben?
Der erste, oberflächliche Blick auf die inhaltlichen Gegebenheiten wird die Faszination noch nicht vollständig erklären, die Herr Tower mit seinem Erstling heraufbeschworen hat. Dennoch lohnt es sich, hier anzusetzen, denn im Inhalt verbirgt sich ein erster Verweis auf jene Richtung, aus der der Begeisterungswind weht.
Die erste Kurzgeschichte mit dem Titel Die braune Küste, präsentiert der Leserin einen angeschlagenen Mann im mittleren Alter, der wie verkatert im verwahrlosten Ferienhaus seines Onkels erwacht, das er grundrenovieren soll. Auch er selbst soll sich daran wieder aufrichten: Nach dem Tod seines Vaters hatte er zuerst seine Lebenszufriedenheit, dann sein Geld, seinen Job und beinahe auch seine Frau verloren. Im Zwangsexil und der Knochenarbeit steckt eine letzte erbärmliche Chance, seine auseinanderbrechende Existenz doch irgendwie zusammenzuhalten.
Die zweite Erzählung, die Zuflucht heißt, zeigt dem Leser einen vereinsamten Immobilienhändler mittleren Alters, der im Alkoholrausch seinen verhassten kleinen Bruder zu sich nach Maine in die Wildnis einlädt. Im Streit um die Gunst eines väterlichen Freundes erlebt ihre verkümmerte Beziehung zwischen Neid, Alkohol, Jagd und Knochenarbeit weitere Tiefpunkte und nur wenige Höhenflüge.
In den sich anschließenden Kurzgeschichten bietet Tower dem Leser die verschiedensten Charaktere, die vom pubertierenden Jungen und heranwachsenden Mädchen bis zum steinalten Kriegslegionär reichen. Besonders häufig tauchen zudem Männerfiguren nach dem Typus aus den ersten beiden Stories auf: in der Mitte ihres Lebens, im Kampf mit Brüdern, Vätern und Konkurrenten oder im Angesicht ihres eigenen Scheiterns. Towers Geschichten sind voll von verkrachten Existenzen: Ein erfolgloser Erfinder verdrängt, dass er nichts ausrichtet in der Welt. Ein geschiedener Mittdreißiger muss sich mit dem neuen Liebhaber seiner Exfrau herumschlagen. Ein Schuljunge wird von seinem Stiefvater tyrannisiert und ein College-Junge von zu Hause rausgeschmissen, sodass er zu einem Hungerlohn auf dem Jahrmarkt anheuert, einem Ort, an dem früher oder später alle Außenseiter landen.
Doch das Scheitern dieser Menschen wird in der Perspektive des Alltags klein gehalten. Ihre Geschichten tauchen neben der eigentlichen Handlung oder zwischen den Zeilen auf und halten sich zumeist im Hintergrund einer Welt, zu der sie nun mal dazugehören.
Viel bedeutender ist die Art und Weise, in der Tower diesen Inhalt präsentiert. Seine Beschreibungen der Umwelt oder der Innenwelt der Charaktere sind präzise und klar. Der Erzähler aus «Runter durchs Tal» beschreibt ein Restaurant am Rande des Highway in nur einem Satz so treffend, dass man es selbst gesehen zu haben meint:
„Das Restaurant war ein munterer Laden, ausstaffiert mit allem möglichen Kram, der an der rustikalen Kieferntäfelung hing: Farmwerkzeug, gerahmte Zeitungsberichte von Footballsiegen, Autokennzeichen und etliche alte Blechreklameschilder in Neuauflage mit grinsenden, rotlippigen Schwarzen drauf“.
Doch nicht nur Orte, sondern auch Stimmungen und Handlungsketten werden durch die nüchterne Erzählweise verbildlicht und kleinste bedeutsame Augenblicke darin eingefroren:
„Allmählich füllte sich das Lokal mit Leuten, die es eilig hatten sich zu entspannen. […] Unten am Tresen saß ein kleiner Kerl mit rosa Golfhemd, trank Bier und sah auf den Fernseher aus der Rückwand. Viel älter als einundzwanzig konnte er nicht sein. Er sah extrem angepisst und wie ein Grieche aus, mit langer Nase und anderthalb Zentimetern Stirn zwischen den Augenbrauen und dem spitzen Haaransatz. Nach einer Weile kam ein großes, langgliedriges Mädchen herein und setzte sich neben ihn. Er war der Einzige, der sie nicht ansah. Eine gebleichte Giraffe von fast einsneunzig in engen Jeans, mit mehr Makeup im Gesicht, als eine junge Frau nötig hatte. Sie legte die Ellenbogen auf den Tisch, stützte die Wange auf die Faust und blies dem kleinen Kerl einen zornigen Schwall Luft zu. Der Junge trank einen Schluck Bier und tat, als bemerke er sie nicht.“
Diese Kunst, dem Leser Bilder in den Kopf zu projizieren, gipfelt in einem sehr eigentümlichen Umgang mit Metaphern. Als der einsame Immobilienhändler aus «Zuflucht» seinen Bruder fragt, woraus die Unzufriedenheit mit seinem Leben entspringt, antwortet er:
„Vor ein paar Wochen hab ich so ein Partnersuchding am Computer ausgefüllt. Eine Frage hieß: ‚Was wären Sie, wenn Sie ein Tier wären?‘ Ich hab geschrieben: ‚Eine Hummel, die versucht, eine Murmel zu bumsen.‘ Und das stimmt. Ich rackere mich mit dem Mist ab, und nie kommt was bei rum. Sinnlos.“
Diesen drei Zitaten ist gemein, dass sie allesamt rassistische und sexistische Stereotypen heraufbeschwören und dadurch auf ideologischer Ebene tief blicken lassen. Daneben gibt es aber auch auf der Satzebene eine Fülle von „kleineren“ Metaphern, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen: z. B. in Wild America ist die Erzählerin eine Frau, die mit „einer Figur wie ein Gurkenglas herumlief“. Oder Auf dem Jahrmarkt hängen in einem Treibhaus künstlich gezüchtete Pfingstrosen, „deren Blüten rot und schwer wie Rinderherzen waren“.
Die Konsequenz dieses erhöhten Aufkommens von Metaphern ist im Idealfall die höchste mögliche Präzision in der Beschreibung eines Bildes. Im umgekehrten Fall entsteht gar kein Bild, weil sich die Bestandteile der Metapher nicht mit dem Erfahrungshorizont des Lesers decken. Auch diese Grauzonen gibt es in den Kurzgeschichten dieses Bandes, nur liegen sie je nach Rezipient*in an anderen Stellen.
Im Ganzen betrachtet ist Alles zerstört, alles verbrannt ein Buch für den zweiten Blick. Die erste Betrachtung liefert zwar einigermaßen interessante und erheiternde Erzählungen, die sich bis auf eine Ausnahme im heutigen Amerika abspielen und Durchschnittsmenschen in ihrem alltäglichen oder existenziellen Scheitern vorführen. Erst der zweite Blick enthüllt die Kraft der Sätze, wenn er sie herauslöst aus dem Plot und für sich betrachtet oder in der Reflexion die Absurdität der Zusammenhänge erkennt. Nur das genaue Auge wird die Präzision in der Beschreibung und den Einfallsreichtum auf der metaphorischen Ebene zu schätzen wissen. In diesem Sinne sind die Vergleiche mit Hemingway, Carver und David Foster Wallace ein hilfreicher Wegweiser für die Frage, wann dieses Buch gelesen werden sollte: nicht in der Bahn, in der Mittagspause oder in den zehn Minuten vor der nächtlichen Bewusstlosigkeit. Alles zerstört, alles verbrannt ist ein Buch, für das man sich Zeit nehmen muss; es ist aber auch ein Buch, dass dieses „Opfer“ wert ist.