Von einem Wolf und einer überraschenden Freundschaft

Im Wald gibt es viele aufregende Dinge zu entdecken, auch Wölfe. Wolfsnacht von Robert Habeck und Andrea Paluch ist eine spannende Geschichte, die nicht vergisst, dass der Mensch sich manchmal ein bisschen zu breit macht.

Von MARCEL WIDJAJA

Größer und länger als ein Schäferhund, mit gelben Augen und einem Blick, der das Blut in den Adern gefrieren lässt. Felix wagt sich zunächst nicht zu rühren. Dann rennt er davon. Die erste Begegnung mit einem Wolf ist ein Schock, doch Lea zeigt Felix das wahre Wesen des Wolfes.
Es sollte eine aufregende Schnitzeljagd für Felix’ kleine Schwester werden, die Geburtstag hat. Die Freunde sind schon eingeladen, der Kuchen ist gebacken, es fehlt nur noch ein toller Schatz, den es sich lohnt zu finden. Felix soll nach der Schule kurz in den Wald laufen und das kleine Päckchen mit zehn Marzipanschweinen verstecken. Felix hat extra Marzipan gekauft, weil seine Schwester Marzipan nicht mag und er es sowieso doof findet, das Päckchen in den Wald zu bringen. Felix hat getrödelt, es ist schon dunkel, als er den Schatz vergraben will.
Doch soweit kommt es nicht. Wie aus heiterem Himmel steht ein Wolf, ein echter, lebendiger Wolf vor Felix. Von der Angst gepackt, hechtet er aus dem Wald, nach Hause, in die Sicherheit.
Schnell erfährt die ganze Stadt von dem Wolf, der sich in dem angrenzenden Wald herumtreiben soll. Die Eltern sind besorgt, doch Felix wird zum richtigen Helden. Er ist ja schließlich den schrecklichen Fängen des Wolfes entkommen. Felix genießt die Aufmerksamkeit, die er jetzt bekommt, wenn er von der furchtbaren Zusammenkunft erzählt und wie grausam Wölfe doch seien. Sogar die Zeitung kommt für ein Interview. Ihm gefällt seine Rolle eigentlich ganz gut. Wäre da nicht Lea, ein Mädchen aus seiner Klasse. Sie glaubt Felix die Geschichte nicht und kann auch sonst nichts mit den Vorurteilen, die ihre Mitschüler über Wölfe haben, anfangen. Felix zeigt ihr die Stelle im Wald, wo ihm der Wolf begegnet ist. Dort treffen sie die ersten Polizisten. Der Wolf soll gejagt und erschossen werden, damit er nicht mehr gefährlich für die Kinder ist.

Lea ist geschockt und versteht nicht, warum dieses arme Tier sterben muss, obwohl es nur das tut, was in seiner Natur liegt. Und immerhin hat er niemanden angegriffen. Auch Felix zweifelt an seiner Einstellung. Lea zeigt Felix, wie geheimnisvoll und interessant Wölfe sind, und dass der Mensch der eigentliche Störenfried ist. Er muss einsehen, dass er zu schnell geurteilt hat. Gemeinsam beschließen sie, den Wolf zu retten, damit er nicht getötet werden muss.

Leider hat niemand Verständnis für Felix und Leas Aktion. Sie setzen alle Hebel in Bewegung um den Wolf zu schützen und kämpfen wie gegen Windmühlen. Doch eine Hoffnung gibt es: Lea ist bei Greenpeace und kurzerhand haben die beiden Hilfe von Herrn Koopmann, Spezialist für Wölfe. Die Gefahr ist schon groß, am kommenden Tag soll die Treibjagd beginnen. Am nächsten Morgen kocht Felix vor Wut. Die Reporter der Zeitung haben ihn als Wolfshasser hingestellt und viele Sachen geschrieben, die Felix gar nicht gesagt hat. Felix will nicht als Schwindler dastehen, vor allem nicht bei Lea, die er mehr mag, als ihm lieb ist.

Der einzige Ausweg: Felix muss den Wolf retten, koste es, was es wolle. Noch einmal kommt es zu einer Begegnung mit dem Wolf, die Felix wohl so schnell nicht vergessen wird…
Dieses Erlebnis hat Felix und Lea zusammengeschweißt. Einer Freundschaft steht nichts mehr im Wege; einer Freundschaft, die ohne den Wolf wohl nie zustande gekommen wäre.
Wolfsnacht ist eine spannende Geschichte, nicht nur für junge Leser. Die beiden Autoren verstehen es, eine jugendgerechte Sprache zu verwenden, die dennoch nicht auf vereinfachende oder beschönigende Phrasen zurückgreift, sondern präzise, klar und verständlich bleibt. An vielen Stellen wird auf eine detailgetreue Darstellung der Einzelheiten verzichtet. Jedoch geschieht dies zugunsten eines atemberaubenden Tempos, mit welchem der Leser durch die Geschichte gezogen wird. So entsteht an keiner Stelle Langeweile, sondern ein ständiger Sog. Der Sog, erfahren zu wollen, wie es weitergeht und ob Lea und Felix es nun wirklich schaffen, den Wolf vor dem Schrot der Jäger zu bewahren.

Neben der Handlung wird ein Diskurs darüber eröffnet, wie jeder einzelne Mensch die Welt wahrnimmt. Lea wirft Felix vor, er denke immer nur an sich, er sei ein Egoist. Lea zeigt, dass es auch anders geht, dass Egoismus schlecht ist. Es geht um etwas ganz Grundsätzliches, nämlich darum, dass es nicht nur die eigene kleine Welt gibt, sondern man sich auch darum kümmern muss, was da draußen vor sich geht.
Ein lange nicht erlebter Lesespaß ab zehn Jahren, nach oben offen.

Robert Habeck und Andrea Paluch: Wolfsnacht
Sauerländer: 124 Seiten
Preis: 11,95 Euro
ISBN: 978-3794161362

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