Das Pendel zwischen Macht und Ohnmacht

„Die vorangegangenen Götzen haben wir gestürzt, und gekommen ist die Chimäre des Fanatismus.“ Hat man diese abschreckende Hürde einmal genommen und sich auf das Hin und Her des Konrádschen Pendel eingelassen, so offenbart sich eine meisterhafte Verflechtung von Macht und Ohnmacht.

Von LISA VAN RISSENBECK

In seinem Essaytagebuch Das Pendel blickt György Konrád aus seiner eigenen Perspektive auf die Gegenwart. Er schildert seine gegenwärtigen Eindrücke als alter Mann und setzt diese in Beziehung zu seinen Assoziationen aus der Vergangenheit. So beschreibt er sein Leben als alter Mann und setzt dieses in Beziehung zu seiner Kindheit, welche durch die Judenverfolgung in Ungarn geprägt wurde, die gescheiterte Ungarische Revolution von 1956 und der scheinbare Umbruch 1989.

Durch seine präzisen Erzählungen und seiner großartigen analytischen Fähigkeit gelingt es György Konrád, dem Leser eine genaue Vorstellung der Gegenwart und der Vergangenheit zu präsentieren. Dies ist allerdings auch zwingend notwendig, um den verzweigten Gedankensprüngen des Autors folgen zu können. So beginnen für den Leser die Schwierigkeiten bereits auf der inhaltlichen Ebene, da nicht immer sofort verständlich ist, ob sich der Autor mit seinen Schilderungen in der Gegenwarts- oder der Vergangenheitsebene bewegt.

Dieser Umstand wird dadurch verstärkt, dass hier, wie bereits erwähnt, das Medium eines Essaytagebuchs gewählt wurde und so eine stringente Struktur geschickt umgangen wird. Durch die vermeintlich fehlende Struktur wird es dem Leser hier erneut erschwert, dem Autor auf seinem Lebens- und Gedankenweg zu folgen. Die Verflechtungen von Vergangenheit und Gegenwart erscheinen zunächst willkürlich und zwingen den Leser zu mehrfacher Lektüre.

Doch genau an dieser Stelle wird das gesamte Können des Autors ersichtlich. Die vermeintlich fehlende Struktur unterstützt die verwirrende inhaltliche Ebene durchaus gekonnt. Der plötzliche Wechsel von der Vergangenheit zur Gegenwart, der sich ausschließlich auf sein sich veränderndes personelles Umfeld beschränkt, zeigt deutlich auf, dass es dem Autor außerordentlich wichtig ist, dem Leser seine Intention punktuell zu verdeutlichen: Obwohl sich die Zeiten und die äußeren Umstände seines Lebens verändern, so machen sich doch immer die gleichen Kräfte, Despoten und Mittelmänner bemerkbar.

György Konrád ist ein außerordentliches „Warnbuch“ mit einer sprachlichen Präzision und einer weitreichenden, mit Skepsis verbundene Analyse gelungen. Somit erhebt es für sich den Anspruch, gehört zu werden. Wenngleich der Autor einen anspruchsvollen und durchhaltenden Leser fordert und voraussetzt, so handelt es sich bei Das Pendel um eine meisterhafte Verflechtung, sowohl struktureller, als auch inhaltlicher Form, welche sich nahe der Perfektion bewegt.

Im Kommen und Gehen von Eindrücken, Lebensweisheiten und Gedanken, zwischen einer Dichtung von gleichmäßigem Rhythmus, schwingt das Konrádsche Pendel zwischen Macht und Ohnmacht.

 

György Konrád: Das Pendel
Suhrkamp, 244 Seiten
Preis: 21,90 Euro
ISBN: 978-3518422526

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