Steven Bloom stellt seinem Roman Die menschliche Schwäche unter anderem diesen alten jüdischen Witz voran: „Moses steigt vom Berg herab und sagt: Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute ist, ich hab Ihn auf zehn runtergehandelt. Die schlechte ist, Ehebruch ist noch dabei.“ Der Roman erzählt von verschiedenen Personen in Heidelberg, deren Schwächen und Geheimnisse nach und nach zum Vorschein kommen. Ehebruch spielt dabei eine besondere Rolle, fast niemand der Protagonisten kann sich davon freisprechen und ein gutes Motiv für einen Mord ist es auch noch. Von Annika Gottschlich
Aufhänger der menschlichen Schwächen ist der Mord an dem amerikanischen Touristen Dr. Stone auf dem Schlossplatz in Heidelberg, der kurz vor den Festspielen verübt wird. Schon bei dem Versuch das Motiv für den Mord zu finden, wird auf eine Reihe von Klischees zurückgegriffen. Der ermordete sieht aus wie ein Jude. Diese Tatsache führt zu einer der vielen Auseinandersetzungen über Vorurteile: „Wenn gesagt wird, jemand sehe aus wie ein Jude, klingt das wie ein Vorurteil, sagte der Oberbürgermeister.“ „Ein Vorurteil ist es nur, sagte Professor Cederbaum, wenn derjenige, der das sagt, damit eine Bedeutung verknüpft.“ Der Tote war tatsächlich Jude, das ruft natürlich den Touristenbeauftragten Horst auf den Plan, der die bevorstehenden Festspiele in Gefahr sieht, da es viele Besucher an den Antisemitismus erinnern und sie somit vor einem Besuch abschrecken wird. Als man bei den Ermittlungen dann noch darauf stößt, dass sich das Opfer kurz vor seinem Tod mit dem israelischen Importeur Ari Reich getroffen hat, der nur in Deutschland lebt, um dem Wohle Israels zu dienen, steht eine Spionageverschwörung ganz oben auf der Lister möglicher Motive. Der Oberbürgermeister befürchtet politische Verwicklungen und der gesamte Stadtrat verfällt in Panik.
Natürlich wird auch eine Eifersuchtsszene zwischen dem Ermordeten und seiner Ehefrau nicht ausgeschlossen. Als man bei den Ermittlungen in dieser Hinsicht jedoch nicht weiterkommt, steht ein äthiopischer Asylbewerber auf dem Plan, der aus der Psychiatrie ausgebrochen ist – und durchaus gerne als Mörder gesehen wird. Ein Durchgeknallter ohne faschistisches Motiv. Im Verlauf der Ermittlungen kommen eine Reihe weiterer Schwächen zum Vorschein. Scheinheilige, wie Johannes Gutfleisch, der auf der Suche nach dem Flüchtigen kontaktiert wird, die Asylbewerber angeblich unterstützt, da ja sonst niemand hilft, und später offenbart das er sie prostituiert. Die Ironie, um das ganze noch zu verstärken, Gutfleischs Haus ist voll von Relikten aus der Nazizeit. Die Motive und Konflikte, die der Roman schildert, gibt es zudem noch auf der politischen Ebene, im Stadtrat. Politiker, die ständig die Partei wechseln und versuchen nach fünfmaliger Kandidatur für das Amt des Oberbürgermeisters immer noch nicht aufgeben. Die Vertretung der NPD im Stadtrat, die mit aller Macht versucht den Bau einer neuen Synagoge zu verhindern, und im Verlauf des Romans damit auch nicht scheitert. (Die Synagoge ist echt, und wurde 1994 schließlich doch noch in Heidelberg erbaut) Politiker die sich prügeln anstatt die Konflikte in Sprechduellen auszutragen.
Der in New York geborene Steven Bloom ist Jude, lebt und unterrichtet an der Universität Heidelberg amerikanische Landeskunde. Sein neuster Roman zeigt ein Gesellschaftspanorama mit Witz und Tiefgründigkeit. Neben vielen Klischees schafft er es, die Perspektiven der einzelnen stereotypen Charaktere mit satirischem Stil zu präsentieren. Vorurteile werden aus jeder Perspektive geschildert. Den Blick amerikanischer Juden, die Deutschland als „ Land der Mörder“, sehen, sowie die Frau des ersten Opfers, die unterschiedlichsten Personen, mit den unterschiedlichsten Blicken auf die Vergangenheit und auf den Ehebruch. Dabei wechselt die Perspektive immer wieder zwischen den einzelnen Protagonisten, meistens Sprunghaft, zwischen den einzelnen Kapiteln aber auch innerhalb dieser. Der Leser bekommt dabei keine Hilfe durch Überschriften, und muss den fragmentierten Roman teilweise einfach lesen und dann im Verlauf erkennen, welche Protagonisten gerade geschildert werden. Die Sprache ist jedoch einfach und leicht verständlich. Wer ein bisschen das Köpfchen gebraucht, kann dem Roman gut folgen und sich beim Lesen amüsieren. Ob es sich dabei eher um einen Kriminalroman oder vielleicht doch eher um ein Ehedrama handelt, sollte jeder Leser aber lieber selber herausfinden. Es lohnt sich in jedem Fall den 192-seitigen Roman zu lesen. Die Mischung aus Groteskem, Witzigem, Sarkastischem und Ernstem auf so wenig Platz lässt sich schnell und unterhaltsam genießen und von Zeit zu Zeit den Leser an seine eigenen Schwächen stoßen.