In seinem neuen Roman Die Nacht der Erinnerungen erzählt Antonio Muñoz Molina die Liebesgeschichte eines Architekten und einer jungen Amerikanerin vor dem Hintergrund des spanischen Bürgerkriegs. Dabei gelingt es ihm gekonnt, geschichtlichen Kontext und die Geschichte der Liebe des Protagonisten zu einer jungen Studentin zu verbinden und beides in einen Sprachstil zu betten, der den Leser fasziniert und begeistert.
von Louisa Hackmann
Ein Architekt, der von seiner Ehe gelangweilt ist. Eine junge Amerikanerin, die nach Europa kommt, in der Erwartung, neue Erfahrungen zu machen. Im Hintergrund der beginnende Bürgerkrieg in Madrid in den 30er Jahren. Mit diesen wenigen Mitteln gelingt es Muñoz Molina, eine opulente Geschichte zu inszenieren, die überzeugt und verzaubert.
Der Architekt Ignacio Abel, verheiratet mit der Tochter einer konservativen katholischen Familie, mit der er zwei Kinder hat, ist gerade mit der Planung der Universitätsstadt beschäftigt, als er auf einem Vortrag die junge Amerikanerin Judith Bieley kennenlernt. Bereits kurze Zeit später beginnen die beiden eine leidenschaftliche Affäre. Ignacio beginnt seine Sexualität wiederzuentdecken und während im Hintergrund seiner Erlebnisse langsam die Ereignisse des Bürgerkrieges ihren Lauf nehmen, gibt es für Ignacio nichts Wichtigeres als die Frage, wann er seine Geliebte wiedersehen kann. Acht Monate dauert ihre Affäre, bis Ignacios Ehefrau versucht sich umzubringen und Judith ihn, von Schuldgefühlen geplagt, verlässt.
Der Roman setzt ein, als Ignacio dem vom Bürgerkrieg zermürbten Madrid längst entkommen ist und sich auf dem Weg an eine amerikanische Universität befindet. Seine Familie hat er in Spanien zurückgelassen. In Rückblenden rekonstruiert Muñoz Molina die Geschichte Ignacios wie ein Puzzle, das sich erst nach und nach zu einem Gesamtgemälde zusammenfügt. Immer wieder lässt der Autor Lücken in der Erzählung, die zum Weiterlesen animieren und sich erst nach und nach schließen.
Die Grundthematik des Romans ist weder neu noch revolutionär. Die Liebe in Zeiten des Krieges ist ein vielfach aufgegriffenes Thema in der Literatur, das bekannt ist und zu dem es nicht an Beispielen mangelt. Seien es Margaret Mitchells Vom Winde verweht oder Ian McEwans Abbitte – auch wenn die Liebe zwischen Cecilia und Robbie hier rein hypothetisch bleibt und sich nur in der Vorstellung Brionys erfüllt – mit Romanen über Liebe und Krieg ließen sich ganze Bibliotheken füllen.
Dennoch ist die Geschichte Ignacios eine, der der Leser gerne folgt und die ihn gerade durch den puzzleartigen Erzählstil am Ball bleiben lässt. Was an diesem Roman aber vor allem fasziniert, ist die Sprachgewalt Muñoz Molinas. Selten gelingt es einem Autor so gekonnt, Gefühle und Erfahrungen mithilfe einfacher Alltagserfahrungen und Bilder darzustellen. Hierbei bedient er sich des Öfteren auch der Architektur, die für Ignacio so viel bedeutet und vielleicht seine größte Liebe ist. So vergleicht Muñoz Molina die unbestimmte Suche Ignacios nach etwas mit dem Prozess der Realisation eines architektonischen Projekts, „das bei seiner Realisierung sichtbare, nutzbringende Gestalt annimmt und gleichzeitig das Neue und Schöne verliert, welches es zu Beginn so unwiderstehlich machte, als es noch eine Skizze war.“
Auch wenn die Lektüre gerade aufgrund des Sprachstils Muñoz Molinas ermüdend auf den einen oder anderen Leser wirken mag, lohnt es sich diese Hürde zu überwinden. Die Mühe zahlt sich aus! Denn obwohl die Affinität zu detailreichen Ausführungen, langen Sätzen und vielen Vergleichen mit dem Architekturdiskurs passagenweise langatmig erscheinen mag, erkennt man in dem Roman Muñoz Molinas einen ausgeprägten Sinn für sprachliche Ästhetik, die die Worte und Aufzählungen wie zufällig heraufbeschwört, ohne dabei einer Poesie zu entbehren, die den Leser in höchstem Maße zu fesseln vermag.