Vieles ist der Literaturwelt über Franz Kafkas Privatleben heutzutage bekannt – so etwa die konfliktreiche Beziehung zu seinem Vater und die Liaison zu Felice Bauer, mit der er kurzzeitig verlobt war, und zu Milena Jesenská. Die vielleicht wichtigste Frau in Kafkas Leben wurde jedoch von der literarischen Hemisphäre lange Zeit außer Acht gelassen – Dora Diamant. Michael Kumpfmüller widmet sich nun in seinem Roman „Die Herrlichkeit des Lebens“ dieser letzten und vielleicht einzig großen Liebe Franz Kafkas.
von VANESSA PUDLO
Es ist der Sommer 1923, als Franz Kafka, der bereits schwer von seiner Tuberkulose-Erkrankung gezeichnet ist, in den Kurort Bad Müritz an der Ostsee reist: „Der Doktor erhofft sich nicht viel von diesem Aufenthalt. Er hat schlimme Monate hinter sich, zu Hause bei den Eltern wollte er nicht länger bleiben, da kam die Einladung an die Ostsee gerade recht.“ Seine Schwester, die ihn an die Ostsee begleitet hat, hofft, ihn abseits vom lästigen Alltag und den Eltern wieder ein wenig zu Kräften bringen zu können. Was Franz Kafka jedoch schließlich neue Lebenskräfte verleiht, ist die unerwartete Liebe zu der 25-jährigen Dora Diamant, die in dem benachbarten Ferienheim für jüdische Kinder als Köchin und Betreuerin arbeitet.
Die Liebe, die sich zwischen den beiden entwickelt, sprüht so sehr vor Sehnsucht und Intensität, dass die vorrübergehende Abreise Kafkas zurück zu den Eltern für beide unerträglich erscheint. So verbringt Dora die letzten Tage der Saison alleine in Müritz, hin- und hergerissen zwischen der Angst, Kafka werde sein Versprechen nicht einhalten und nicht mit ihr, Dora, nach Berlin gehen, und der Freude, ihr Leben mit ihm zu teilen. Jeder neue Tag ohne den anderen wird scheinbar ausschließlich vom Warten auf den Brief der geliebten Person erfüllt. Dem schließlich wirklich stattfindenden Umzug in ein kleines Zimmer in Berlin folgen noch zwei weitere, bis Franz Kafka aufgrund seines ernsten gesundheitlichen Zustands im Jahr 1924 zunächst in verschiedene Sanatorien eingeliefert wird und schließlich am 3. Juni 1924 im Sanatorium in Kierling in Doras Armen stirbt.
Michael Kumpfmüller zeichnet in seinem Romane eine Liebe nach, die so zärtlich, berührend und intensiv wirkt, dass man glauben möchte, all diese Gedanken und Gefühle seien wirklich und nicht bloß die unglaublich treffenden, aber fiktiven Ausschmückungen des Autors. Denn obwohl zahlreiche Briefe, Tagebücher und Notizen Franz Kafkas überliefert wurden, so ist es ausgerechnet der Briefwechsel zwischen Dora Diamant und Franz Kafka, der nicht erhalten ist. Doch genau das ist es, was den Roman erst zu einer Meisterleistung macht: ohne wirklich gesicherte literaturhistorische Grundlage über diese Liebe, schafft Kumpfmüller es, das letzte Lebensjahr des Schriftstellers und seine große Liebe zu Dora so überraschend authentisch und berührend darzustellen, dass man als Leser glaubt, dass es genau so gewesen sein muss. Natürlich bedarf es bei einer solch detailverliebten Darstellung einer ausgiebigen Recherche und Forschung in den Schriften von und über Franz Kafka, aber diese Informationen schlußendlich realistisch, schlicht und doch besonders zu verarbeiten, das ist Kumpfmüller mit Die Herrlichkeit des Lebens mehr als gelungen.
Der Wechsel zwischen den Perspektiven und die zu Beginn verwendete Anrede Franz Kafkas im Roman als „der Doktor“ tragen außerdem dazu bei, eine von vornherein festgelegte Fokussierung auf die Person Franz Kafkas zu vermeiden. Was in diesem Roman im Mittelpunkt steht, ist, bei näherer Betrachtung, eigentlich nicht der Protagonist Franz Kafka und auch nicht Dora Diamant, es ist die Liebe zwischen ihnen, die der Geschichte Rahmen und Charakter gibt. Weniger die Handlungen, als die Gedanken und Gefühle der Protagonisten spielen hier die entscheidende Rolle. Das gleichzeitige Bewusstsein von tiefster Zuneigung und bevorstehendem Tod, die unendliche Nähe, die leider doch endlich ist und die Erkenntnis, auch im Angesicht des Todes noch Lebensfreude und Liebe erfahren zu können, durchziehen den ganzen Roman. Dabei gelingt es Kumpfmüller, auf Pomp und Pathos zu verzichten, ohne dabei weniger anrührend und liebevoll zu sein.
Mit Die Herrlichkeit des Lebens hat sich Kumpfmüller einem interessanten, aber auch schwierigen biografischen Stoff gewidmet und daraus eine wunderbare Liebesgeschichte geschaffen, die den Balanceakt zwischen Biografie, Pathos und Fiktion zu meistern versteht.
Schöne Rezension! Mir hat der Roman auch sehr gut gefallen. Die Einbindung von biographischen Details ist sehr gut gelöst, habe sehr viel über Kafka erfahren, was ich vorher nicht wusste. Auch die Liebesgeschichte zwischen Dora und Franz ist sehr eindrücklich und berührend geschildert. Tolles Buch!
Beste Grüße,
Deborah
Ps: Hab vor einer Weile auch eine Rezension über das Buch geschrieben. Kannst ja mal vorbeischauen! 😉 -> http://tinyurl.com/8abb6zk