Verständnis statt Vorurteile

Im Klappentext von Edward van de Vendels Jugendroman Der Glücksfinder heißt es:
„Die Hälfte aller Flüchtlinge sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Allein aus Afghanistan sind fast 3 Millionen Menschen auf der Flucht. Dieses Buch beruht auf der wahren Geschichte eines afghanischen Jungen.“

Der Glücksfinder erschien erstmals 2008 in den Niederlanden und 2011 beim Carlsen Verlag in Deutschland. Es handelt sich um einen Jugendroman des niederländischen Schriftstellers Edward van de Vendel, der in Zusammenarbeit mit Anoush Elman entstand, der als Kind mit seiner Familie aus Afghanistan fliehen musste und in den Niederlanden seine neue Heimat fand. Das Buch basiert auf seiner Geschichte.

von LAURA HANS

Hamayun ist sieben Jahre alt, als die Taliban in Afghanistan die Macht ergreifen. Von diesem Zeitpunkt an ändert sich das Leben seiner Familie von Grund auf. Zunächst müssen sie aus ihrem Heimatdorf nach Kabul fliehen. Dort angekommen verläuft ihr Leben erst einmal in gewohnten Bahnen. Hamayun und seine Geschwister besuchen die Schule und spielen nachmittags mit den Kindern aus der Nachbarschaft.
Doch plötzlich wird es auch in der Hauptstadt für Hamayuns Vater gefährlich, weil die Taliban dahinter gekommen sind, dass er Mädchen unterrichtet, was laut der Scharia verboten ist.
Nach einigen Hausdurchsuchungen und einer zeitweiligen Inhaftierung des Vaters, können Freunde und Verwandte die Familie zur Flucht nach Europa bewegen. Von heute auf morgen müssen die Sachen gepackt werden und Menschenhändler schleusen sie aus dem Land. Tragischer Weise muss die Familie dabei Hamayuns wenige Monate alten Bruder bei der Oma zurücklassen.
Sein Vater will in die Niederlande, in die Hamayuns älterer Bruder Bashir bereits vor einiger Zeit geflohen ist. Die Reise ist lang und beschwerlich, große Abschnitte des Weges müssen mit alten Bussen oder zu Fuß durch dichte Wälder zurückgelegt werden. Außerdem sind die „Knochenträger“, wie Hamayun die Menschenhändler nennt, äußerst unangenehme Reisebegleiter. Auch Privatsphäre oder Hygiene gibt es während der langen Reise nicht, aber die Familie macht unterwegs Bekanntschaft mit interessanten Persönlichkeiten.
Angekommen in den Niederlanden, scheint es, als hätte sich der Wunsch nach einem sicheren, beständigen Leben erfüllt. Hamayun trifft seinen großen Bruder Bashir und sogar seinen Lieblingsonkel Aaron wieder.
Die anfängliche Euphorie, weicht jedoch langsam dem Gefühl unerwünscht zu sein. Denn obwohl die Familie rasch Anschluss im Ausländerwohnheim findet und die Kinder schnell die neue Sprache lernen, wird ein Asylantrag nach dem anderen von der Einwanderungsbehörde abgelehnt. Das alltägliche Leben der Familie geht weiter, doch die Prozesse, um einen Status als Flüchtlinge zieht sich in die Länge und die ständig vorherrschende Unsicherheit, doch noch abgeschoben zu werden, entmutigen und zermürben Hamayuns Familie.
Es fällt ihnen zunehmend schwerer, die Hoffnung nicht zu verlieren, da die niederländischen Behörden noch lange nicht gewillt scheinen dem Leiden der Familie ein Ende zu bereiten.
Trotz alledem fasst Hamayun den Entschluss, später einmal Arzt oder Regisseur zu werden. Der Wusch, Regisseur zu werden, wird in der Theatergruppe seiner Schule unterstützt, indem die Lehrerin Frau Levanti Hamayun dazu ermutigt, sein eigenes Schicksal auf die Bühne zu bringen.
Diese Episode im Leben des Jugendlichen ist zugleich auch die letzte. Es gibt kein eindeutiges Ende, der Leser hat die Möglichkeit sich zwischen „The Happy Ending“ und „The Alternativ Ending“ zu entscheiden.

Die niederländische Zeitung Trouw schrieb über das Buch, „Edward van de Vendel gibt „dem Asylbewerber“ nicht nur ein Gesicht, sondern auch ein Herz. Dieses Buch war eine Notwendigkeit.“
Diesen Worten kann ich mich nur anschließen. Obwohl oder gerade weil es sich bei Der Glücksfinder um ein Buch handelt, das aus der Perspektive eines Kindes von all den schrecklichen Erfahrungen, die Flüchtlinge auf dem Weg in ein besseres Leben durchleben müssen, berichtet, ist es unglaublich realistisch und anschaulich. Außerdem wird dieses schwere Thema dadurch auf leichte und kindgerechte Art und Weise dargestellt.
Ein toller Roman, den zu lesen sich nicht nur für Jugendliche lohnt, sondern auch für Erwachsene, um sich mit der Geschichte von Einwandererfamilien vertraut zu machen und Vorurteile aus dem Weg zu Räumen.
Dieses Buch hat auch meine Sicht auf dieses Thema verändert und meinen Horizont für Menschen erweitert, die Toleranz und Verständnis, statt Vorurteilen und Ablehnung benötigen und verdienen.

Edward van de Vendel/Anoush Elman – Der Glücksfinder
Carlsen, 464 Seiten
Preis: 14,90 Euro
ISBN 978-3-551-58215-7

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