Auf dem Weg in die Psychiatrie

Herzgewächse heißt nicht nur der Roman von Hans Wollschläger. Herzgewächse ist ebenso ein alter medizinischer Begriff, der deutschsprachige Titel der Gedichts Feuillage du coeur aus Maurice Maeterlincks Serres chaudes von 1889 und der Titel von Arnold Schönbergs op. 20 für hohen Sopran, Celesta, Harmonium und Hafe von 1911, der Vertonung von Maeterlincks gleichnamigen Gedicht.

von ANNIKA GOTTSCHLICH

Der im Herbstprogramm des Wallstein-Verlages Roman Herzgewächse oder der Fall Adams. Fragmentarische Biographik in unzufälligen Makulaturblättern gibt den Text der Erstausgabe von 1982 wieder. Im Gegensatz zur Erstausgabe befindet sich zudem das erste Kapitel Enuma elisch… des zweiten Buches. Der Roman blieb unvollendet. Hans Wollschläger starb am 19. Mai 2007 in Bamberg. Der Roman ist ein fiktives Tagebuch des fiktiven, philosophischen Schriftstellers Michael Adams, der 1950 zu Konrad Adenauers Zeit, aus der 15-jährigen Emigration, in seine Heimatstadt Bamberg zurückkehrt. Nach dem Zweiten Weltkrieg mietet Adams sich dort in dem Zimmer ein, in dem er seine Jugend verbracht hat. Er hofft dort in Zivilisation zurückkehren zu können, die Hitler zerstört hat. Seine Rückkehr bleibt jedoch erfolglos. Er scheitert am Alltag und der Liebe. Seine Tagebucheinträge vermischen sich immer wieder mit Erinnerungen an seine Vergangenheit:
oder Pathos, weiß nicht mehr – ich : habe den
ramponierten Karton gleich wieder zugemacht : nach fünfzehn Jahren über fünfzehn Jahren : muß zwanzig gewesen sein damals, nein, noch jünger : sehr alte Zeit – ist über die Jahre gekommen : in konzisem Gekritzel : fünf-         zehn vielleicht sogar – es : könnte am Einzugstag selber notiert sein – oder jedenfalls kurz danach, weiß nicht mehr – es : hat einen Sog wie

Adams’ Aufzeichnungen sind Zeugnis seines Selbstverlustes. Sie zeigen den (Zer)Fall einer Person, die schließlich, von Paranoia geplagt, in einer Psychiatrie endet.

Wer das Buch aufschlägt wird zunächst durch die auffällige Typografie überrascht, mal eine große, mal eine kleine Schriftgröße, mal kursiv, mal nicht. Gedankenstriche, Doppelpunkte, und man fragt sich: Was soll das? Sie spiegeln die abrupten Brüche der Gedanken-, Sprach- und Bewusstseinsebene wieder. Die kursiv gesetzten Abschnitte geben alle in Kurzschrift verfassten Partien des Manuskripts, die Größenunterschiede der Normalschrift sind dem Schriftbild des Originals nachempfunden. Als dies ist soll der Lesbarkeit dienen, und ist dem Faksimile daher bevorzugt worden.

Der 540 Seiten lange experimentelle Roman ist anspruchsvoll und keine der seichten Lektüren, die man mal eben zwischendurch lesen wird. Der Erzähler kommuniziert nicht mit dem Leser, er kann nicht einmal mit sich selbst kommunizieren, und verliert sich immer wieder in seiner Sprache. Die abrupten Brüche in der Erzählung sind verwirrend, die Gedankensprünge für den Leser nur schwer nachzuvollziehen. Die vielen intertextuellen Verweise und sprachlichen Raffinessen werden bei ungeübten Lesern nicht zum Vergnügen beitragen. Der Inhalt folgt mit seinen vielschichtigen Gedankenebenen den unterschiedlichen Bedeutungen dem Titel „Herzgewächse“. Freud und seine Psychoanalyse machen den Rest. Auch wenn der Roman innovativ erscheint, sollte man sich vor dem Kauf überlegen ob man sich durch den psychologischen Zerfall eines fiktiven Schriftstellers hindurchkämpfen will.

Hans Wollschläger – Herzgewächse oder Der Fall Adams
Wallstein, 543 Seiten
Preis: 38,00 Euro
ISBN: 978-3835309586

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