Wenn es doch nur so einfach wäre. Das Leben abstreifen wie eine alte Jacke und sich mit einer neuen Wildlederjacke ausstaffieren: neue Hoffnungen, Träume und Lebenswege inklusive. Kathrin Gerlof entwirft in ihrem Roman Lokale Erschütterung rund um das Ehepaar Grabowski ein Horrorszenario im Alltagsgewand, das sich nicht so einfach abschütteln lässt.
von NADINE HEMGESBERG
Hanns Grabowski war ein angesehener Journalist und Schlagzeilenkönig von Berlin. Er war ein zufriedener Ehemann. Er war… Das alles ist vorbei. Seine Ehe mit Veronika ist eine einzige Farce. Aus dem Revolverjournalisten wird nun ein abgehalfterter Lokalredakteur, dessen journalistischer Höhepunkt aus einer vermeintlich mordenden Krankenschwester und dem Scheunenfest mit Schlagerstar und Rollator schiebenden Groupies besteht. Beim Bummel durch die Stadt oder am heimischen Küchentisch brummelt Hanns Hasstiraden in einem Stakkato vor sich hin, dass man ihm als LeserIn angesichts der Wortentgleisungen ein ums andere Mal den Mund zu halten möchte. Mit dem Wut-Tourette versucht er sich griesgrämig gegen die Außenwelt und seine Einsamkeit zu schützen. Veronika Grabowski summt derweil in Stresssituationen deutsche Volksliedstrophen gegen den Wahnsinn des Alltags und zerbricht an der Kinderlosigkeit der Ehe. Zusammen ist man eben nicht immer weniger allein. Mit gekonnt lakonischem Ton lässt Gerlof ihre Figuren mit all ihren Nöten und Bedürfnissen aufeinanderprallen und seziert die Paarbeziehung und deren Zerfall.
Sie scheitern immer schöner
Die moderne Paarbeziehung muss einiges aushalten. Man möchte seiner Individualität frönen, dem anderen Freiraum bieten und ihn gleichzeitig einfordern dürfen. Der Arbeitsmarkt verlangt Mobilität und Flexibilität und eigentlich sehnt man sich nur nach einem Gefühl von Zuhause und Zufriedenheit. Paarbeziehungen sind gebeutelt, können nicht mehr mithalten mit dem Leben, das Eventübersättigung und Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom in einem ist. Erst am vorvergangenen Wochenende widmete die Süddeutsche in ihrer Printausgabe dem Thema Paarbeziehung eine komplette Seite (hier ein Interview mit dem Paartherapeuten Arnold Retzer in der Netz-Ausgabe). Für das Ehepaar Grabowski, die beiden Liebes- und Lebensversehrten, ist die Paartherapie jedoch nur eine temporäre Lösung: „Das Schönste an der Geschichte war der Abend nach dem Therapeutinnengespräch. Wie sie beide am Tisch gesessen haben. Eine große Lauchtorte in der Mitte, Weißwein in den Gläsern. Und dann hatte Vroni beim Aufschneiden der Lauchtorte geflüstert: Sie müssen Platz machen für konstruktives Denken. […] Es war eine Befreiung. Sie haben gelacht und sind lachend ins Bett gegangen, um zu vögeln.“
Nur noch ein Schritt zum Abgrund
Zu allem Überfluss bekommt Veronika auch noch seltsame Briefe von einem Unbekannten, die ihr Leben endgültig aus den Angeln heben. Angestoßen von den Zeilen des Unbekannten, erforscht sie ihre Vergangenheit und muss feststellen, dass vielleicht nicht alles ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
Ob das ganze Szenario auf die fast unvermeidbare Katastrophe hinausläuft oder die beiden eine Lösung für ihre Probleme finden, das müssen Sie nun selbst herausfinden. Die Lektüre ist bitter und zugleich erheiternd und mit wenigen Abstrichen, die einer leichten Überfrachtung von Themen geschuldet sind, eine Empfehlung.