Viel ist bereits geschrieben worden über Christian Krachts neuen Roman Imperium. Schon eine Woche nach der eigentlichen Veröffentlichung des Buches scheint der große Streit um Rassismus und Satire geschlichtet zu sein. Trotzdem wird in den Feuilletons aller großen Zeitungen heftig kommentiert. Ganz schön schwierig, da noch einen eigenen Gedanken zu fassen.
Von HANNAH KONOPKA
August Engelhardt heißt „unser Freund“, dessen um die Jahrhundertwende stattfindendes Leben auf der kleinen, deutsch kolonialisierten Insel Kabakon wir hier nachlesen. Engelhardts heiliger Gral ist die Kokosnuss, die „Sonnenfrucht“, von der er sich ausschließlich ernähren und aus der er Cremes, Öle und Shampoo für deutsche Damen herstellen will. Als Nudist und Vegetarier dennoch viel zu schüchtern, um „Mitutopisten“ (oder besser: Heterotopisten, sofern es dieses Wort tatsächlich gibt…) für seinen „Sonnenorden“ zu gewinnen, verfällt er alleine dem Wahnsinn und der Krankheit, bis der Erste Weltkrieg schließlich auch Kabakon erreicht.
Ein sehr schönes Buch hat der Verlag Kiepenheuer & Witsch da herausgegeben: dunkelrotes Halbleinen, Leseband und ein in bester Tim-und-Struppi-Manier gestaltetes Cover: Ein großer Dampfer steuert die Insel an, auf der, versteckt, ein verheißungsvoller Totenkopf liegt; rückseitig ein Kommentar von Elfriede Jelinek. Kann da was schief gehen? Zweifellos ist der Roman vollgestopft mit Reminiszenzen und Begegnungen; so wie es August Engelhardt wirklich gab, lassen sich Krachts Figuren von Sigmund Freud aufgrund von Desinteresse ablehnen, belästigen Franz Kafka und sagen dem Erfinder von Vegemite keinen Erfolg voraus.
Beeindruckender Stil
Krachts dem Partizip Präsens und dem Konjunktiv frönendem Stil gelingt es sogar, äußerst elegant auszudrücken, dass die Engelhardtschen Briefe und Schriften mancherorts kurzerhand als Toilettenpapier genutzt werden. Der bedeutungsschwangere Stich einer Mücke in den Hals des Gouverneurs Hahl lässt sich leider nur mit einem begeisterten Lächeln verfolgen; für musikalische Untermalung durch Wagners Ritt der Walküren und die angemessene Dramatik wird hier bestens gesorgt:
„(…) just in diesem Moment war das Insekt durch den Türrahmen herangesummt, und, vom intensiven Geruch der aus den Hahlschen Poren austretenden Milchsäure (deren Ausdünstung durch den warmen Riesling begünstigt und verstärkt wurde) ganz kirre geworden, hatte die Mücke noch im Anflug die Proboscis ausgefahren, um, blind vor Gier, an des Gouverneurs sauber ausrasiertem Nacken anzulanden und ihn mit einem kathartischen, crescendohaften Biß zu penetrieren, bevor sie die erlösende Götterdämmerung der Hahlschen Handfläche erfahren hatte. Und so war das Schwarzwasserfieber in den Gouverneur gekommen.“
Erster Literaturstreit des noch frischen Jahres
Und was hat jetzt die große Debatte um Imperium ausgelöst? Der Spiegel war’s! In der Woche zuvor nannte Die Zeit Krachts Roman noch „(s)eine reifste Frucht“, sah in ihm, auch wegen des Vergleiches von Engelhardt und Hitler auf den ersten Seiten, „eine Reflexion über den historisch so unfassbar banalen Zufall, der darüber entscheidet, ob jemand zum verwirrten Selbstmörder oder aber zum Mörder von Völkern wird. Und darüber, dass keine Literatur, kein Satz frei von Unschuld ist, weil er den Keim zu einer Glaubensgewissheit in sich birgt“. Ein paar Tage später wirft Georg Diez Kracht im Spiegel eine „rassistische Weltsicht“ vor. Man könne das Buch durchaus „als eine Satire auf gegenwärtigen Vegetarismus oder auf Erlösungssehnsucht“ lesen, wäre da nicht diese Hitler-Implikation. Stattdessen nennt Diez, sich auf einen veröffentlichten, aber vermeintlich literarischen E-Mail-Wechsel zwischen Kracht und David Woodard beziehend, diesen den „Türsteher der rechten Gedanken“, der den Weg für „antimodernes, demokratiefeindliches, totalitäres Denken“ in die Allgemeinheit ebne.
Bereits am selben Tag protestiert der Verlag Kiepenheuer & Witsch in einer Pressemitteilung, die Zeitungen stürzen sich auf die Debatte, Kracht sagt seine erste Lesung in Deutschland ab. 17 namenhafte Autoren verfassen einen offenen Brief an die Spiegel-Chefredaktion, in dem sie Diez’ Methode scharf kritisieren: Natürlich müsse man unterscheiden zwischen Meinungen der Figuren und der des Autors (Verlag Kiepenheuer & Witsch: Offener Brief an den Spiegel). Im darauffolgenden Spiegel kommt der Verleger Helge Malchow zu Wort und bringt noch einmal auf den Punkt, was der Literaturwissenschaft sowie -kritik eigentlich klar sein sollte: „(D)ieser Erzähler (ist) alles – nur eines nicht: Christian Kracht.“
Schon vor dem Erscheinen hat das Buch zweifelsohne hohe Wellen geschlagen; es muss nicht verneint werden, dass es ein pikantes Thema anspricht. Dass sich natürlich jeder Leser, mit der ganzen Debatte im Hinterkopf, nun ein eigenes Bild machen soll, muss wohl auch nicht erwähnt werden. Wahrscheinlich liegt Imperium sowieso schon auf Ihrem Nachttisch, oder?
Der erste Teil der Rezi ist super gelungen; im zweiten Teil hätte ein klares eigenes, vielleicht auch ruhig polemisches Statement zur Debatte den Text noch pointierter werden lassen. Finde ich prima, dass hier ganz aktuelle Veröffentlichungen und Debatten dargestellt werden.