Sven Kuntze liest aus seinem neuesten Buch Altern wie ein Gentleman
Buchhandlung Sommer, Ahlen, 24.02.2012
Ein bisschen komisch komme ich mir schon vor, als ich die knackevolle Buchhandlung Sommer betrete und nach einem Blick in die Runde feststelle, dass ich mit Abstand die Jüngste im Publikum bin. Ein silbrig-aschfarbenes Meer aus Köpfen hat sich hier heute bei Wasser und Wein zusammengefunden, um dem Ruheständler und Ex-Journalisten Sven Kuntze beim Lesen aus seinem zweiten, 2011 erschienenen Buch Altern wie ein Gentleman zu lauschen. Zunächst komme ich mir etwas fehl am Platze vor. Doch als der grauglatzige Gentleman neben mir innerhalb von zehn Minuten sein Weinglas zum zweiten Mal füllen lässt und dabei verschmitzt blinzelnd bemerkt: „Also wenn Sie heute nüchtern bleiben, muss ich ja Ihren Anteil mittrinken!“, entspanne ich mich etwas und harre der Dinge, die da kommen.
Von ANDREA SCHAUMLÖFFEL
Um kurz nach halb neun – es mussten erst allerhand zusätzliche Stühle von wer weiß woher herangeschafft werden – begrüßt der Gastgeber den Autor und pflügt sich durch dessen geraffte Lebensgeschichte, die er offenbar dem Wikipedia-Artikel entnommen hat, den ich mir kurz vorher auch schon zu Gemüte geführt hatte. Herr Kuntze lüftet als zusätzliche Info das Geheimnis um seinen Geburtsort: Straßburg war es, in dem er „gezeugt und geboren“ wurde. Und außerdem, so fügt er hinzu, sei er nun fast 70 Jahre alt. Ein Raunen geht durch den Saal. Ich raune innerlich mit. Der und 70? Aus dieser Entfernung hätte ich den Mann auf allerhöchstens Anfang 50 geschätzt.
Kuntze kommt auf sein neues Buch zu sprechen und lobt es immer wieder in den höchsten Tönen, obwohl er weiß, dass sich das gar nicht gehört, wenn man selbst der Autor ist. Er tut es trotzdem, und das macht den charismatischen Rentner sympathisch. Überhaupt hat er sein Publikum fest im Griff.
Altern wie ein Gentleman, erklärt er, sei weder ein Buch übers Altern, noch ein Ratgeber oder gar ein „Trostbuch“ – vielmehr solle es sowohl die Chancen als auch die Pflichten und Forderungen aufzeigen, die mit „unserer Generation“ einhergehen. Beschämt schaue ich zu Boden. Unsere Generation? Habe ich irgendwo ein Schild übersehen, auf dem „Twens und MILFs nur in Begleitung eines Senioren“ steht? Die Sache wird immer interessanter, scheine ich doch offenbar nicht zum anvisierten Zielpublikum zu gehören. Gerade deswegen bin ich gespannt, was mir der Abend so bringen wird. Und wie ich bald merke, bringt er mir Einblicke in das Seelenleben von jemandem, der vor allem eines hat: Lebenserfahrung und eine gehörige Portion Witz. Kuntze beginnt mit ein paar interessanten Fakten, um die unsereins sich noch nie Gedanken gemacht hat. So erzählt er etwa, dass seit dem zweiten Tag seines Rentenantritts ein nicht versiegender Strom von Weinwerbung seinen Briefkasten überschwemmt. Er verliert sich in weitschweifigen Plaudereien, die er zwischendurch mit kurzen Passagen aus seinem Roman spickt. Für meinen Geschmack leider etwas zu kurz, denn sein Stil fesselt mich sofort und ich hätte gern mehr davon gehört. Nichtsdestotrotz weiß Kuntze Text und Gedanken mit einem fließenden Übergang geschickt zu verknüpfen; das Eine ergänzt hierbei das Andere. Das Alter, so vermittelt er uns als Essenz des Ganzen, bringt manchmal einfach eine neue Sicht der Dinge: So rät er, sich von den lebensbegleitenden Tugenden Ehrgeiz und Fleiß zu trennen und sich für den wohlverdienten Ruhestand neue Werte zu definieren, namentlich Müßiggang und Empathie, aber auch den Genuss des Augenblicks ohne den starr auf die Zukunft gerichteten Blick. Das Leben im Hier und Jetzt genießen ist seine Devise. Immer wieder lässt er sich zu intelligent-nachdenklichen Monologen hinreißen, die keineswegs nur locker-flockige Themen zum Gegenstand haben; sei es der Alkoholismus seiner Mutter oder die heikle Debatte um die Sterbehilfe – Sven Kuntze hat sie alle in seinem facettenreichen Werk aufgegriffen und sich seine Gedanken dazu gemacht. Dabei versteht er es gekonnt, die Stimmung im Großen und Ganzen positiv zu halten und keine Langeweile durch zu viel Ernsthaftigkeit aufkommen zu lassen.
Nachdem er zunächst vorsichtig, dann mutiger seine Meinung zum Thema Euthanasie hat durchblicken lassen, entscheidet er sich eine Minute später, erst einmal über die Libido im Alter zu referieren und über das Recht, jedem seine Alterswehwehchen auf die Nase binden zu dürfen, nur um sich sofort danach kritisch zu den Fehlern, die seine – Verzeihung, „unsere“ – Generation in den letzten sechzig Jahren gemacht hat, zu äußern. Man denke nur an die derzeitige Staatsverschuldung oder aber an die Frage der Endlagerung von Atommüll. „Ja … ja … ja“ bekräftigt derweil der grauglatzige Gentleman neben mir immerfort wie eine gesprungene Schallplatte. Alle lauschen gebannt, hängen an den Lippen des Redners, das meiste bejahend. Mit nur kurzer Unterbrechung durch das Vorlesen des letzten Absatzes aus seinem Buch nimmt Kuntze den Faden seiner Gesellschaftskritik sofort wieder auf und ermutigt das Publikum zur Diskussion, die sich dann auch tatsächlich spontan entspinnt.
Altern wie ein Gentleman, so vermittelt der Autor an diesem Abend, ist kein Werk zur passiven Berieselung, aber auch keine schwere Kost, an der der Leser sich die dritten Zähne ausbeißt. Sven Kuntze versteht es, seine Zuhörer zu unterhalten, aber auch, sie zum aktiven Nachdenken anzuregen. Trotz der zumeist interessanten Gedankengänge wäre bei seiner sogenannten Lesung allerdings die Einbindung längerer Passagen aus seinem Werk wünschenswert gewesen.