Unglaublich komplex und anstrengend, dennoch mit einer erstaunlichen sprachlichen Vielfalt, ist die neuste Prosaschrift ich sitze nur GRAUSAM da der österreichischen Schriftstellerin Friederike Mayröcker.
Von ESRA CANPALAT
Die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Friederike Mayröcker hat mit ich sitze nur GRAUSAM da wieder Prosa geschaffen, die den Leser durch die Bildhaftigkeit und assoziative Sprache sowie die ungewöhnliche Syntax fesselt. Besonders „die Sprache der Blumen“ ist es, mit der man beim Lesen immer wieder konfrontiert wird. Die Welt der Erzählerin ist gefüllt mit Blumen, Pflanzen und Landschaften jeglicher Art. Vor allem Gladiolen tauchen immer wieder auf und scheinen als pars pro toto für das gesamte Werk zu stehen. Der Begriff der Gladiole stammt vom lateinischen „gladius“, was so viel wie Schwert bedeutet. Und es ist wahrhaftig ein Kampf, der in dieser Schrift stattfindet: Ein Kampf um eine neue Sprache, eine neue Art zu schreiben. So sagt die Erzählerin auch zu ihrem ewigen, stets kommentierenden Partner Ely: „in dieser neuen Schrift (…) sollten Schönheit und Strenge vorherrschen (…).“ Ihre Sprache entfaltet sich erst in „Knospen“ (ebenfalls ein häufig erwähntes Wort), die versuchen, endlich aufzublühen. Die Schrift hat demnach fast schon einen manuskripthaften Charakter. Sätze brechen ab, wirken wie eilig dahin geschriebene Notizen, zwischendurch dann handgeschriebene Texte oder kleine Skizzen.
Mal hier, mal dort
Das Werk besitzt keine lineare Handlung, demnach sind auch keine spezifischen Zeitpunkte festzuhalten. Die Erzählerin erinnert sich in einem Moment, wie sie eines sonnigen Tages mit Ely in einem Café saß, im anderen erinnert sie sich an ihre Kindheit „mit Muzette oder Mama“, um im nächsten Augenblick wieder scheinbar gegenwärtig eine Konversation mit Ely zu führen oder einen Gedanken zu fassen. Ein spezifischer Ort ist folglich auch nicht festzustellen, und dennoch sind die Eindrücke der Erzählerin stark beeinflusst von den Orten, an denen sie sich aufhält. Gärten mit Feigenbäumen, Olivenbäumen, Orte, die an den Italienurlaub erinnern, „betupfte Chocolaterie auf der Hauptstrasze“, „CAMAIORE“ und natürlich zahlreiche Cafés. Diese Orte sind von einer erheiternden, sommerlichen Stimmung. Doch es scheint nicht immer die Sonne in der Welt der Erzählerin: Manchmal werfen schmerzliche Erinnerungen der Vergangenheit oder ihre melancholisch anmutenden Gedanken dunkle Schatten auf diese helle Szenerie. Dadurch, dass die Zeit unbestimmbar bleibt, Orte und Landschaften stetig wechseln, entsteht eine Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart.
Referenzen, Referenzen, Referenzen
Doch nicht nur Vergangenheit und Gegenwart scheinen hier nebeneinander zu existieren. Auch die Prozesse von Lesen und Schreiben weisen eine Gleichzeitigkeit auf. Die Rezeption von anderen Autoren und Künstlern beeinflusst die Arbeit der Erzählerin. So ist der Text gespickt mit Zitaten von Jean Genet und Hölderlin und Referenzen auf künstlerischen Werken von u.a. Gerhard Richter, Man Ray und Joan Miró. Der Einfluss der Lektüre ist sogar so stark, dass die Erzählerin sich „dabei ertappte in einer Weise zu reagieren, also mich gewählt auszudrücken wie es sonst meiner Gewohnheit nicht entsprach“, nachdem sie ihre Lektüre von Kleists Marquise von O. wegen eines Anrufs unterbrechen muss. Gespräche der Erzählerin mit Rumi oder Raoul Dufy sind allgegenwärtig.
Gerade die Referenzen auf Kunst verstärken erneut die Bildhaftigkeit der Schrift. Vor allem die Zeichnungen Mimmo Paladinos haben es der Erzählerin angetan. Kein Wunder also, dass die Umschlagabbildung des Buches von Paladino ist. Und zugegebenermaßen erfreut es einen jeden Leser und gibt ihm ein gewisses Gefühl von Stolz, wenn er die erwähnten Werke kennt und so die Einbindung der durch diese Werke erzeugten Eindrücke in die Schrift Mayröckers versteht. Wenn die Erzählerin also von „Giottobäumen“ spricht, ist jedem Kunstkenner deutlich, wovon hier die Rede ist.
Verstehen werden ich sitze nur GRAUSAM da allerdings nicht alle Leser, denn es ist zuweilen ziemlich anstrengend, den hochkomplexen Gedankengängen und Satzstrukturen zu folgen. Kenner und Fans der Lyrik und Prosa Mayröckers wird das sicherlich nicht abschrecken, ist sie doch eben bekannt geworden durch ihren experimentellen Stil. Doch jedem, der mutig genug ist, sich auf die Reise in eine faszinierende und unkonventionelle Sprachwelt zu begeben, ist dieses Werk wärmstens zu empfehlen. Dass man nur ERSTAUNT dasitzen wird, ist garantiert.
Habe das Buch bisher nur im Schaufenster begehrlich angeblinzelt. Hört sich aber BEGEISTERND an, danke für die Rezension.