Wallende Wortgefechte des Wahnsinns
Herne, Flottmannhallen – PoetrySlam: Sprechreiz. 23.02.2012
Die Halle ist bis zum Bersten gefüllt, es gibt keine Plätze mehr, die Menschen stehen und sitzen, wo gerade Platz ist. Es ist warm und die Luft stickig, die grellen, roten Scheinwerfer runden das Bild ab. Ein Hexenkessel! Die Menge wartet gespannt. Es macht sich Verwirrung breit, auf dem Podest stehen bereits zu Beginn drei Mikrofone und hinter den Kulissen wird verräterisch konspiriert. Was mag da wohl vor sich gehen?
Von MARC EICKELKAMP
Nach wenigen Minuten die erlösende Aufklärung: Torsten Sträter, eigentlich Moderator des Abends, kann seiner Tätigkeit nicht in vollem Rahmen nachkommen. Doch bevor die ZuhörerInnen erneut die Chance haben, in einen Zustand großer Verwirrung zu fallen, klärt Sträter die Situation auf. An seiner statt wird Denis Seyfarth, PoetrySlammer und Moderator aus Düsseldorf, durch den Abend führen. Als Co-Moderatoren schlägt Sträter Spongebob und den Slammer Joss vor. Erster hat leider keine Zeit, Joss allerdings ist mit im Boot.
Die nächste Überraschung des Abends folgt sofort. Auf der Liste stehen 13 SlammerInnen, die ihre Texte vortragen möchten. Einige Namen sind wohl bekannt, andere könnten ihren Namen an diesem Abend unvergessen machen… Aber der Reihe nach. Bevor Torsten Sträter sich verabschiedet, präsentiert er einen seiner neuen Texte als Einstieg. Die Resonanz ist positiv, es gibt viel zu lachen. Nach Sträters Abgang erneut kurze Verwirrung, die Regeln und Modalitäten des Slams werden erklärt, allerdings weder endgültig, noch zum letzten Mal an diesem Abend. Vorgetragen wird in zwei Gruppen, zwischendurch Pause, dann Finale der besten Zwei. So war es angedacht… Die Jury wird bestimmt und erhält ihre Stimmungskarten – wir alten Hasen konnten ebenfalls eine Tafel ergattern.
Es geht also los! Der erste Slammer tritt auf. Sascha Mühlenbeck aus Bremen kann die Jury zwar nicht vollends überzeugen, erntet aber einige Lacher und bleibt mit den erhaltenen Wertungen im Rennen. Es schließen sich in der ersten Runde weitere interessante Texte an, die sowohl den Lachmuskel als auch Herz und Verstand beanspruchen. Am Ende erobert Helmut aus Herne die Herzen der Jury. Der mittlerweile 84-jährige Rentner überzeugt durch praktisches Handwerkszeug, solide Reime und seine liebevolle, menschliche Art. Er sammelt die meisten Punkte in der ersten Runde und steht somit als erster Teilnehmer im Finale. Den Abschluss macht Miriam, ebenfalls aus Herne, leider kann ihr leicht melancholischer Poesietext nicht die ganze Jury überzeugen. Im Raum wird die ewige Frage aufgeworfen: PoetrySlams – witzig oder rührend? Texte zum Lachen oder Nachdenken?
Nach der Pause wird die Stimmung in der Flottmannhalle merklich angespannter, die Jury hat sich eingependelt und einige starke KandidatInnen warten noch auf ihren Auftritt. Auch unter den ZuschauerInnen bilden sich Fanblöcke heraus, die ihre Zustimmung oder Abneigung gegenüber der Jury lautstark zum Ausdruck bringen. Für Matthias Marschalt aus Soest und Bülent aus Dorsten stehen die Chancen auf das Finale recht gut, die Jury hat ihnen solide Wertungen gegeben. Doch es soll noch eine Wendung geben! Zuvor sorgen die Auftritte von Slammer Sushi und Jay Nightwind aus Essen für Aufregung. Sushi, wie immer in seinem Element, kann unter der Jury keine einstimmige Meinung erzeugen. Die Wertungen gehen stark auseinander – es fällt die tiefste und schlechteste Wertung des Abends. Das Publikum tobt. Die Fanblöcke verleihen ihrem Frust Nachdruck. Auch der Text von Jay spaltet das Publikum, mit seiner nah an der Realität gehaltenen Schilderung von Polizeieinsätzen und seiner inneren Zerrissenheit erreicht er viele ZuschauerInnen emotional. Für das Finale reicht es aber leider nicht.
Am Ende stehen noch drei KandidatInnen auf der Liste: Maximilian Humpert aus Köln, Beatrice aus Bochum sowie Titelverteidiger Jürgen Schumacher aus Herne. Leider hat dieser aber keinen neuen Text im petto und trägt denselben wie beim letzten Slam in Herne vor. Das Publikum ist wenig begeistert – es reicht nicht für das Finale. Ganz im Gegensatz dazu die Beiträge von Max und Beatrice, die mit den Themen Menschlichkeit und Liebeskummer die ZuschauerInnen mitreißen. Dies wird mit den höchsten Wertungen des Abends belohnt. 42 und 45 von möglichen 50 Punkten. Damit ist das Finale klar: Beatrice gegen Helmut aus Runde 1. Doch das Publikum und Slammer Sushi plädieren für ein Finale mit drei Teilnehmenden. Die Modalitäten werden per demokratischen Beschluss gekippt. Das Finale hat nun drei TeilnehmerInnen.
Das Finale… Die Jury ist ihrer Pflicht entbunden und die Moderatoren versuchen, die Reihenfolge der Auftritte festzulegen – organisatorisches Problem, aber Abhilfe aus dem Publikum. Helmut, Max und Beatrice tragen nacheinander ihre finalen Texte vor. Begeisterung. Bewunderung. Viel Applaus. Am Ende heißt die strahlende Siegerin Beatrice. Als Preis erhält sie eine Sprechreiz-Schneekugel – ein Unikat. Zu guter Letzt liest sie einen Text als Zugabe. In diesem beschreibt sie ihre Zuneigung zu einem nicht namentlich genannten anderen Slammer. Wer das wohl sein mag?
Die Lichter gehen aus, die Musik an. Es ist vorüber. Es war stimmungsvoll, emotionsgeladen und in vielerlei Hinsicht der Wahnsinn. Bis zum nächsten Mal, man darf gespannt sein…