AMERICAN SAVIOUR

Nietzsche hat sich geirrt. Gott ist nicht tot. Er war nur ziemlich lange angeln.

Mit Koma, seinem Ausflug in den Golfsport, stieß Instant-Kultautor John Niven (Kill Your Friends) auf verhältnismäßig wenig Gegenliebe. Mit Gott bewahre versucht er eine Rückbesinnung auf alte Stärken und lädt ein zu einer bösen tour de force durch Religion, Castingshows und Anti-Terrorpolitik.

von PETER VIGNOLD

Als Gott auf der Höhe der Renaissance endlich seinen lange vor sich hergeschobenen Angelurlaub antritt und Sprössling Jesus mit der Vertretung seiner Geschäfte beauftragt, glaubt er, die Welt in gute Hände gegeben zu haben. Aber was, wenn der Sohnemann lieber mit Hendrix einen durchzieht und die zweite Hälfte des zweiten Jahrtausends mit der Gitarre auf dem Schoß vertrödelt, statt sich um das Weltgeschehen zu kümmern? Groß ist der Schock, als sich nach Gottes Rückkehr im Jahr 2011 Dossiers auf seinem Schreibtisch türmen, die den drastischen Verfall seiner Schöpfung während seiner Abwesenheit in schauerlichen Worten und Bildern dokumentieren. Umweltverschmutzung, Völkermord, Hungersnöte, Kriege, religiöser Fanatismus, weltweiter Wahnsinn und eine bedenkliche Besessenheit der vermeintlich zivilisierten Gesellschaft mit einer an Trivialität kaum zu überbietenden Popkultur – die einstmals noch so schöne Welt ist buchstäblich vor die Hunde gegangen. Nachdem der Schleier des Zorns sich gelichtet hat, sieht Gott nur einen Ausweg aus dem Schlamassel: auch wenn es beim ersten Mal schon nicht ganz so zufriedenstellend ausgegangen ist, muss der Sohn zurück auf die Erde und die Menschheit an das wichtigste Gebot erinnern: Seid nett!

Englands Antwort auf den Antichrist

In New York City scharrt Jesus eine Kommune gestrauchelter Seelen um sich, doch die Streuwirkung seiner Botschaft ist noch eher begrenzt. Den großen Popularitätsschub soll ein Engagement in der beliebten Casting Show American Pop Star bringen, für deren neue Staffel gerade Kandidaten aus dem ganzen Land gesucht werden. So macht sich die Entourage in einem klapprigen Bus auf den Weg ins gelobte Kalifornien, in die höllenhaften Abgründe Hollywoods, die von keinem Geringeren regiert werden als Englands Antwort auf den Antichrist: Steven Stelfox. Hier offenbart sich auch ein wenig das Kalkül von The Second Coming, so der Originaltitel, denn so schwer sich Niven mit der oft in allzu offensichtlichen Hippie-Klischees daherkommenden Schilderungen des Himmels tut, so sehr fährt er zu alter Form auf, wenn das Ekelpaket aus Kill Your Friends seine Wiederkehr feiert und in der menschenverachtenden Starindustrie Hollywoods sein ideales Zuhause gefunden hat. So ist Stelfox, der Musik hassende, ehemalige Großverdiener der Musikindustrie der heimliche Star und selling point von Gott bewahre und sein Umzug von London in die unheiligen Gefilde des amerikanischen Castingshowbetriebs – Simon Cowell, anyone? – nur allzu konsequent. Wo es jedoch in Kill Your Friends noch hochgradig komisch war, an seinen bösartigen Gedanken teilzuhaben, wirkt er in der Außenansicht nur noch fürchterlich eindimensional: ein von Macht und Geld besessener Choleriker, der von allen Optionen garantiert immer die herzloseste wählt.

Von New York, New York bis Waco, Texas

Nivens Jesus hingegen ist das strahlende New Yorker Indie Kid mit einem Charme irgendwo zwischen Kurt Cobain und Jared Leto und dem Musikverständnis eines Pitchfork-Redakteurs, wird jedoch bald zu einem Spiegelbild von David Koresh, dem selbsternannten Propheten der Davidianer, der nach fast zweimonatiger Belagerung der festungsartigen Siedlung seiner Gemeinde durch US-Behörden bei deren gewaltsamer Erstürmung ums Leben kam. Hier gelingt es Niven, einen Bogen zu spannen zwischen dem fast zwanzig Jahre zurückliegenden Vorfall in Waco, Texas und der aktuellen, von Terrorangst geprägten US-Innenpolitik zu spannen, um mit einem Statement über die Todesstrafe abzuschließen. So wird sein schlendernder Schritt auf dem Weg von der Religion über Pop zur Politik immer fester und bestimmter. Am sichersten bewegt sich Niven jedoch nach wie vor, wenn er über Musik redet und sich in seitenlangen Schilderungen musikalischer Performances ergeht, bei denen der notenkundigen Leserschaft wohlige Schauer über den Rücken laufen. Da flammt kurz der Musikjournalist John Niven wieder auf, der nach einer Karriere beim New Musical Express von der Musikindustrie enttäuscht und verbittert ins Romanfach gewechselt ist.

Pop ist tot

Nivens – und Jesus’ – USA-Aufenthalt endet auf einer blue note. Während seine Abhandlungen über das Wesen und die Hintergründe der Castingshowindustrie seltsam offensichtlich und ohne große Überraschungen bleiben, ist es der Schlussakt mit seinen Waco-Referenzen, der im Leser lange nachhallt. Würde Gottes Sohn tatsächlich um diese Zeit auf der Erde wandeln, wären die Chancen in der Tat nicht schlecht, dass es alles in allem so abläuft, wie Gott bewahre es schildert. Das macht John Niven nicht zu einem großen Literaten, denn dazu sind seine Formschwächen und sein wenig souveräner Umgang mit den Sphären des Himmels einfach zu gravierend. Für eine unterhaltsame Geschichte, die zum Ende hin gar nicht mehr so dumm ist, wie man anfangs befürchten könnte, hat es dennoch gereicht.

John Niven: Gott bewahre
Heyne, 400 Seiten
Preis: 19,99 Euro
ISBN: 978-3453675971

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