Wenn der Winter kommt, ziehen sich die Menschen zurück in ihre Häuser und halten Winterschlaf wie die Tiere. Nicht alle, aber viele. Ganze Städte und Länder folgen dem Rat, dass Winterschlaf wichtig für die Erholung sei.
von LINA LOUISA KRÄMER
„Über allem lag eine Stille, so tief, das man sich selbst einen Ton schaffte, der dem leisen Rauschen einer Meermuschel glich.“
Die Welt scheint still zu stehen in Benjamin Leberts ruhigem, melancholischem Roman Im Winter dein Herz und die Stille breitet sich über allem aus wie ein schützender Mantel. Aber bietet schlafen wirklich Schutz, oder verschließt man so nur die Augen vor den Problemen?
Zwei Männer und eine Frau wagen sich in die Kälte und begeben sich durch das zugefrorene Deutschland nach München in einem zerbeulten, schäbigen Suzuki Geländewagen, der auf den Namen Ritchie Blackmore hört.
Kurt Kudowski und Robert sind Patienten in Waldesruh, einer Einrichtung für psychisch erschöpfte Menschen bei Göttingen. Annina arbeitet in einer nahegelegenen Tankstelle, wo sich die drei kennen lernen und beschließen, den Winterschlaf ausfallen zu lassen, obwohl sie ihn nötig hätten um neue Kraft zu tanken. Ihr Ziel ist eine Klinik In München in der Roberts an Krebs erkrankter Vater liegt, mit dem er noch einmal sprechen möchte.
In dem Meer aus Kälte und Eis treffen sie immer wieder auf Inseln von Menschen, die keinen Winterschlaf halten, aus den verschiedensten Gründen, und für eine kurze Dauer für Wärme und Geborgenheit sorgen.
Benjamin Lebert hat einen poetischen Roman geschrieben, der von Freundschaft handelt und über Wege der Kälte gemeinsam zu trotzen. In Zeiten der Kälte hält die Liebe warm und kann eisige Festungen einreißen.
Gedankenreise
Beim Lesen des Romans fühlt man mit Kurt, Robert und Annina die Kälte, der sie sich mutig stellen. Man begibt sich mit ihnen auf eine Reise, ohne zu wissen, ob man das Ziel erreichen wird und was einem dort erwartet. Die Suche nach einem Zuhause und nach Geborgenheit sind die großen Themen des Romans.
Das Buch ist in drei Hefte gegliedert und am Anfang eines jeden Kapitels bekommt man als Leser aus der Sicht der Protagonisten deren Gedanken und Gefühle geschildert.
„Damals war ich davon überzeugt, dass, wohin einen das Leben auch führt – auf eine Allee im Herzen des Südens, in einen hell erleuchteten Saal, an dessen Wänden sich das Gelächter einer Gesellschaft bricht, oder in einen karg eingerichteten Raum mit Stäben vor dem Fenster -, eines ist immer und überall möglich: Liebe.“ (Robert)
Schon nach kurzer Zeit erscheinen die drei wie gute Bekannte, weil sie aus der Ich-Perspektive von ihrer Vergangenheit erzählen, aber auch ihre Hoffnungen und Träume mitteilen. Gedankenfetzen aus der Vergangenheit leuchten auf wie Sternschnuppen am Himmel und erklären nach und nach, warum die drei auf der Suche nach Halt im Leben sind. Man beginnt zu verstehen, was die Reise nach München für jeden einzelnen bedeutet, und dass es nicht darum geht der physischen Kälte zu trotzen, sondern die psychische Kälte zu überwinden und der Liebe eine Chance zu geben.
Der Roman macht nachdenklich und auch ein wenig traurig, weil man den Dreien nicht helfen kann und ein wirkliches Happy-End ausbleibt. Jeder fühlt sich manchmal wie die drei Protagonisten aus dem Buch in eine eisig kalte Welt ausgesetzt, in der man nach Wärme, Zusammenhalt, Geborgenheit und Liebe sucht. Benjamin Leberts Roman ist ein Plädoyer für die Freundschaft, das man sich zu Herzen nehmen sollte.