Ein mutierter weißer Hai, eine einarmige Kriegsveteranin und Öko-Piraten, die Kriegsschiffe kapitalistischer Umweltverschmutzer schlagsahnen und das live und landesweit im Fernsehen senden. Matt Ruff hat in seinem zweiten Roman die ganze Bandbreite des menschlichen Wahnsinns geistreich auf die Spitze getrieben.
von NINA BLÄSIUS
Die Ex-Frau eines visionären Milliardärs, die schon früh Schlagzeilen machte als das retortengezeugte Baby einer feministischen Nonne – momentan mit einem Job in der New Yorker Kanalisation – radelt bei Nahtod-Erfahrungen gen Himmel. In der Figur der Joan Fine, eine der ProtagonistInnen in Matt Ruffs G.A.S. – Die Trilogie der Stadtwerke, zeichnet sich bereits der ganze überbordende Wahnwitz dieses Romans ab.
Science Fiction meets bissige Philosophin
Es ist zweifellos Science-Fiction, was er hier schreibt, aber es ist auch höchst politisch und philosophisch: Der Roman ist der realen politischen Ethikerin und Autorin Ayn Rand gewidmet. Ihr Werk wird gegen Ende des Romans immer wichtiger, sie selbst tritt als Hologramm in einer Grubenlampe mehrfach auf – und reagiert ausgesprochen bissig auf alles, was nicht in ihre Ideologie und Weltsicht passt. Die mitunter seitenlangen Schlagabtausche zwischen Ayn und Joan zeigen das sehr anschaulich und bieten viele Denkanstöße.
Neunundzwanzig-Wörter-für-Schnee, Queen Liz und der Lauf der Geschichte
Sie liest sich rasend schnell, diese überbordende Odyssee. Das mag daran liegen, dass auf jeder neuen Seite weitere überraschende Wendungen warten und noch mehr einzigartige und völlig wahnsinnige Figuren warten. Wie Ruff es dabei schafft, wirklich jeden Charakter mit einer unverwechselbaren Geschichte und einem einprägsamen Namen zu versehen, ist ein Kunststück – von Neunundzwanzig-Wörter-für-Schnee, der im U-Boot der Rebellen eine eigens eingerichtete Iglu-Kabine hat, über Kite Edmonds, die hunderteinundachtzigjährige Kriegsveteranin, die mit der ihr verbliebenen Hand hauptsächlich Kette raucht, bis hin zu Betsy Ross, dem VW-Käfer mit Persönlichkeitschip.
Auch die Cameo-Auftritte berühmter Persönlichkeiten sind zahlreich und amüsant, besonders gelungen dabei: Queen Elizabeth II., die weder ans Abdanken noch ans Sterben denkt und sämtliche politischen Gegner mehr oder weniger unauffällig aus dem Weg räumen lässt. Spannend ist auch, wie der 1997 erschienene Roman die Zukunft erfindet. Für uns als Leser aus dem Jahre 2012 ist das besonders interessant, denn nur selten kreuzen sich die Wege von Ruffs sich in Kriegen und technologischen Innovationen überschlagender Weltgeschichte und unserer tatsächlichen Geschichte. Und doch ist seine Version gar nicht so weit von unserer entfernt.
Es ist ein wilder Ritt
Von Pornographie und U-Boot-Gefechten, über künstliche Intelligenz, Feminismus und Kapitalismus, bis hin zu Afrika und dem Katholizismus gibt es nicht viel, was Ruff nicht mit Humor und Esprit einbezieht. Wie am Ende alle Stränge zusammenlaufen, Disney und der neue Turm zu Babel fast den Untergang der Welt heraufbeschworen hätten und im letzten Moment ausgerechnet der mutierte weiße Hai ganz gehörig zu dessen Rettung beiträgt, muss man gelesen haben.
Rezension gelesen, Buch sofort bestellt. Ich bin gespannt!