Er träumte mal von einer grenzenlosen Universalpoesie, mal von einer stählernden Karriere im Militärdienst: Novalis (1772–1801) galt lange Zeit als „romantischster“ Schriftsteller der Romantik. Wolfgang Hädecke zeichnet in seiner materialreichen Biographie ein sachliches Bild des Dichters der Hymnen an die Nacht.
von PHILIPP KAMPSCHROER
Der sächsische Raum hat um 1800 viele Größen der deutschen Kulturgeschichte beherbergen dürfen. Die Schlegels schrieben dort ihre wegbereitenden Kunst- und Literaturstudien, Fichte und Schiller wirkten als Professoren in Jena, in Dresden fand das erste Treffen der sich formierenden Frühromantiker statt. Einer der großen Köpfe dieser Zeit ist auch Friedrich von Hardenberg, der ab 1798 unter dem Pseudonym Novalis auf der literarischen Bildfläche in Erscheinung trat. Zeit seines kurzen Lebens verließ der 1772 geborene Schriftsteller und Geologe seine sächsische Heimat nicht, studierte unter anderem in Jena, Leipzig und Freiberg und ließ sich schließlich als Assessor der Salinendirektion in Weißenfels nieder, ehe er 1801 – vermutlich an Tuberkulose – ebendort starb.
Wolfgang Hädecke, der Autor einer der zwei in diesem Jahr neu erschienenen Novalis-Biographien – die andere stammt von Gerhard Schulz und liegt bei C. H. Beck vor – ist selbst in Weißenfels aufgewachsen und schon im Grundschulalter mit dem berühmten Bürger seiner Heimatstadt in Berührung gekommen. Diese lebenslange Beschäftigung mit dem „Schöpfer der blauen Blume“ merkt man der sehr sorgfältig ausgearbeiteten Biographie an: Hädecke ist ein exzellenter Kenner des Umfelds der ersten Romantiker-Generation und der Sozialgeschichte des sächsischen Raumes im 18. und 19. Jahrhundert. Immer wieder zitiert er aus Quellen der Zeit, geschichtlichen und geographischen Werken, Schulakten oder Zeitungsartikeln.
Erhellend ist die ausführliche Darstellung Novalis’ langjähriger Freundschaft mit den Schlegel-Brüdern, die erste Novalis-Gedichte in ihrer Zeitschrift Athenäum publizierten. Auch etwa das Porträt des Sonderlings Johann Wilhelm Ritter, der als extravaganter Naturwissenschaftler wie Novalis dem Transzendenten nicht abgeneigt war, ist sehr gelungen. Es ist bedauerlich, dass Ritters kompletter Nachlass verschollen ist und eine noch ausführlichere Beschreibung der Verbindung zwischen dem Dichter und dem wunderlichen Naturforscher wegen fehlender Zeitzeugnisse ausbleiben muss.
Philosophische und naturwissenschaftliche Bildung
Dass Novalis’ poetisches Oeuvre, welches in der Tat quantitativ nur einen kleinen Teil seines Gesamtwerks ausmacht, nicht ohne das intensive naturwissenschaftliche und philosophische Schaffen denkbar ist, daran lässt Hädecke keinen Zweifel: „Novalis erreicht die höchste Vervollkommnung seiner Kunst; seinen postumen Weltruhm verdankt er dem poetischen Werk im strengen Sinn, doch haben an der Verfeinerung dieser Kunst-Schönheiten die besten salinistischen und geognostischen Texte ihren Anteil“. Zahlreiche Zitate unterstützen die These von einem Traum der Verschmelzung der einzelnen Wissenschaften zu einer „Unio poetica et teconologica“. Hervorzuheben ist ein Eintrag in das Heft Fragmente und Studien: „Auch Geschäftsarbeiten kann man poetisch behandeln. Es gehört ein tiefes Nachdenken dazu, um diese Verwandlung vorzunehmen. Die Alten haben dies herrlich verstanden. Wie poetisch beschreiben die Kräuter, Maschinen, Häuser, Geräthschaften etc.“ Gedanken wie diese waren dem Freigeist selbst nicht immer vorteilhaft erschienen: während seiner Studienzeit hatte er gar den Wunsch geäußert, Soldat zu werden, um im „alltäglichen, sehr unromantischen Gange meines Lebens“ den romantischen „Schwung“ zu verlieren. Der Plan scheiterte letztendlich an den zu hohen militärischen Ausrüstungskosten.
Breiten Raum gibt Hädecke Novalis’ Beschäftigung mit dem Werk des Philosophen Johann Gottlieb Fichte. Das ist insofern sinnvoll, als dadurch die Entfernung von der Weimarer Klassik und die Entwicklung eines ästhetischen Programms der Frühromantik nachvollzogen werden kann, zu der Fichtes Theorien – über den „Begründer des Deutschen Idealismus“ sind anlässlich seines 250. Geburtstages in diesem Jahr ebenfalls zwei neue Biographien erschienen – beigetragen haben.
„Verlobung im höhern Sinn“
Wie bereits erwähnt, zitiert Hädecke häufig und umfangreich Passagen aus verschiedenen Primärquellen. Neben den obligatorischen Briefen und Tagebucheintragungen auch aus zahlreichen bergwissenschaftlichen und naturphilosophischen Schriften, die erst vor wenigen Jahren als letzter Band in die Historisch-Kritische Werkausgabe aufgenommen wurden. Schließlich kommt auch die Forschungsliteratur nicht zu kurz.
Einerseits sorgen diese Materialien für ein hervorragendes wissenschaftliches Fundament, stören allerdings andererseits den Lesefluss, zumal Hädecke unverständlicherweise wenig chronologisch vorgeht und Zeitsprünge macht. Hier verhindert die eben noch gelobte Fülle an Material eine präzise Darstellung. Der Text kommt an diesen Stellen hölzern und holperig daher. Fraglich bleibt außerdem, warum vier der fünf letzten Kapitel detaillierte und zitatreiche Werkinterpretationen sind, bevor im Schlusskapitel das Leben von Hardenbergs zu Ende erzählt wird. Hädecke nimmt der Darstellung hier völlig den Schwung.
Wer ein Buch über einen Vertreter der Romantik oder die Epoche selbst schreibt, wird leicht dazu verleitet, allzu tief in den Strom der überbordenden Gefühle einzutauchen und sich im Klischeehaften zu verheddern. Das kann man Hädecke wahrlich nicht vorwerfen, die Schwärmereien des Weißenfelser Dichters registriert er stets aus einer kritischen Distanz, die einzuhalten gerade bei einem Novalis schwer ist, der nach dem Tod seiner großen Liebe Sophie von Kühn fragt: „Ist nicht Ihr Tod und mein Nachsterben eine Verlobung im höhern Sinn?“ Da überrascht es beinah, dass der Carl Hanser Verlag mit diesem mythisch verklärten Bild vom todessehnsüchtigen Dichter durch einen Hinweis im Klappentext des Buches kokettiert.
Ist also die nötige Distanz zur romantischen Literatur gewahrt, schadet es aber nicht, diesem äußerst vielseitigen Zeitabschnitt mit einer gewissen Leichtigkeit in Sprache und Darstellung zu begegnen. Wie zum Beispiel Rüdiger Safranski, dessen Buch Romantik. Eine deutsche Affäre einer der sehr wenigen Sachbuch-Bestseller mit literaturwissenschaftlichem Bezug in den letzten Jahren war und, wie Die Zeit lobte, „philosophische Analyse mit anekdotischer Anschauung derart gekonnt [verbindet], […] dass wir Seltenes vor uns haben: spannend erzählte deutsche Geistesgeschichte.“ Letztere Auszeichnung trifft auf Wolgang Hädeckes Buch nur bedingt zu.
Wunderbare Rezension zu einem hoch spannenden Buch. Weiter so, Leute! Etwas mehr Stoff für die intellektuelle Leserin kommt hier gut an…
Würd ich mir so nicht umbedingt ins heimische Regal stellen, aber wenn ein Seminar zu Novalis ansteht, dann ist das sicher interessant!
Gute und vor allem detaillierte Rezension, werde mir das Buch merken, falls ich einmal mehr über Novalis in Erfahrung bringen muss (wobei die Fachbibliothek meiner Uni da auch einiges an Sekundärliteratur hat).