Hafenpoesie

Poetry Slam, Bochum, Freibeuter (Bermudadreieck), 02. September 2012

Wer sich einmal im Monat am Sonntagabend nicht vor dem Tatort langweilen will, sondern Lust auf gute Unterhaltung hat, der tausche seine heimische Couch gegen einen Barhocker im Freibeuter – denn die neue Poetry Slam-Saison hat begonnen.

Von STEFANIE KÄHNE

Heiße Luft

Es ist der erste Poetry Slam nach der Sommerpause. Der monatelange Slam-Entzug und das vielversprechende Line-up ziehen die Zuschauer scharenweise in den Laden. Die Sitzplätze sind längst belegt, man steht in den Gängen oder an der Bar, überall wo eben Platz ist. Gegen 20 Uhr ist alle Luft verbraucht, man atmet stattdessen Zigarettenrauch und beschwitzt bei gefühlten 40 °C sich selbst und seinen nächsten Nachbarn. Das wird kein lauschiger Abend, das wird ein Poetry Slam mit Kneipenatmosphäre.

Heiße Show

Beinahe pünktlich betritt Sebastian23, Moderator dieser Veranstaltung seit es Schirmmützen gibt, die bierkistengroße Bühne. Ein paar Witze zur Begrüßung, Erklärung der Spielregeln, die Verteilung der Wertungstafeln und eine Erklärung ihrer Handhabung: „Eine 10 bedeutet: ich möchte dich mit nach Hause nehmen. Eine 1 bedeutet: bleib das nächste Mal besser zuhause.“ Zur Einstimmung des Publikums liest Sebastian23 einen Text mit dem wohl weltkürzesten Schüttelreim („Du bist / Buddhist.“) und macht dann die Bühne frei für die 12 Slammer des Abends.

Für das erste Highlight sorgt der Dichterphilosoph René Sydow (Witten). Sein Text Mundraub behandelt den Verfall der Sprache, gespickt mit Medien- und Gesellschaftskritik: „Früher hab ich mal gedacht Politiker, Schauspieler, Komiker, Leute, die im Fernsehen auftreten[…], die gehören zum sprachlichen Hochadel, die sind in der A-Liga der Witze-Erzähler, die sind dabei bei den olympischen Sprachspielen. Heute schalte ich das Fernsehen an und denke, ich schaue semantische Paralympics.“

Für seinen Vortrag erntet Sydow eine Spitzenwertung (45 von 50 Punkten), die nach ihm nur noch drei Slammer überbieten: Philipp Herold (Heidelberg) mit dem Text Irgendwo dazwischen, Fabian Navarro (Hamburg) mit seinem Vortrag von Goldgelb nuancenlos und Torsten Sträter (Dortmund) mit einer Hassode auf den Bubbletea (deutsch: Blasentee). Die beiden letztgenannten erhalten sogar Höchstpunktzahl. Das Finale der besten 4 verspricht spannend zu werden.

Die Finalisten spielen in ihrem zweiten Text ihre Stärken wie gewohnt aus: Sträter, der Meister des schwarzen Humors, verliest einen Text über seinen Vater, den er als „eine Mischung aus Dr. House und Captain Hook“ beschreibt. Marvallo erzählt von seinem Heimatdorf, in dem „die Leute so tiefgründig sind wie ihr Gartenteich“. Herold spricht in großen Metaphern von der Liebe und dem Fußball und Sydow mixt seine tiefgründigsten Witze mit plattem Ruhrpott-Dialekt. Die Abstimmung per Applaus bringt eine knappe Entscheidung: Sydow gewinnt und schenkt dem Publikum noch einen dritten Text über das Unterhaltungsfernsehen.

Dieser Auftakt-Slam lebte jedoch nicht nur von den Beiträgen der vier Finalisten. Auch die anderen Slammer hatten erstklassige Texte am Start, mit denen sie hohe Wertungen erzielten. Dazwischen gab es nur wenige Enttäuschungen, über die man aufgrund des insgesamt hohen Niveaus getrost hinwegsehen konnte. Beinahe jeder Text bediente eine andere Gattung und handelte von anderen Themen: es gab Lyrik, Epik, Rap, Sozialkritik, Philosophie, Klischees und Gefühle, zumeist in humoristischer, aber auch vereinzelt in melancholischer Abfassung.

Heißer Tipp

Ob es dem nächsten Slam im Freibeuter gelingt, dieses Niveau zu halten und erneut eine solche Vielfalt aufzubieten, davon kann sich jeder selbst überzeugen: am 04. November 2012 findet die nächste Runde statt, wie immer von und mit Sebastian 23.

2 Gedanken zu „Hafenpoesie

  1. “Semantische Paralympics” werde ich mir merken, kann ich bestimmt noch mal gebrauchen. Schade, dass die Atmo im Beuter so seniorenunfreundlich ist (nicht sitzen können, extrem viel Rauch), aber vielleicht versuch ich’s trotzdem nochmal am 4. November…

  2. Ich finde,dass Sebastian23 viel besser schreibt als moderiert! Schade, dass er nicht einfach beim Schreiben geblieben ist…!
    Und: Auch für die nichtrauchende Jugend ist das Freibeuter eine Räucherkammer 😉

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