Mit seiner Solotour Freude ist nur ein Mangel an Informationen liefert Nico Semsrott, bekannter Poetry-Slammer aus Hamburg, ein abendfüllendes Mindmapping zum Thema Depression – und zeigt, dass man das Thema weit mehr ausschlachten kann, als einem lieb ist.
Von SARAH HERHAUSEN
„Darf man über Depressionen Witze machen? Nein, man muss!“
Wie immer mit schwarzem Kapuzenpulli und witzigen, präzise formulierten Texten wird Nico Semsrott den Zuschauern in Duisburg vorstellig. Er hat sich viel vorgenommen für diesen Abend. Sein neues Soloprogramm, das er seit Herbst diesen Jahres bereits einige wenige Male auf die Bühne gebracht hat, soll den ganzen Abend füllen.
Gegen den Informationsmangel!
Wer seine Slamtexte kennt, wird auch bei diesem Soloact nicht enttäuscht werden. Nicht umsonst gewann Semsrott schon einige Auszeichnungen, darunter 2011 den NDR Comedy-Contest und den kleinen Passauer Scharfrichterpreis. Seine Texte sind wohlüberlegt und zeigen seine Fertigkeit, Zusammenhänge auf den Punkt genau darzulegen.
Auch seinen Slamhintergrund findet man in den Texten wieder: Die 90-minütige Bühnenshow wirkt eher wie eine Aneinanderreihung vieler kleiner Slamtexte zu demselben Thema als ein großes Ganzes. Seine vorgestellten Texte haben vielmehr den Charakter von Slamtexten.
Inhaltlich grast er naheliegende und kuriose Ebenen um die Themen Depression, Tod und Resignation ab. Daraus: „Das Leben ist eine Krankheit, die durch Sex übertragen wird und in jedem Fall tödlich endet.“ Er ist für die Depression als Wirtschaftsfaktor, durch den die Pharmazie boomen wird, für eine allgemeine Leistungsverweigerung und „für eine Scheißgesellschaft“. Arbeitsplätze beispielsweise hätten es doch viel besser in dieser Welt als Menschen: Auf jeden Arbeitsplatz käme ein Mensch, aber nicht jeder Mensch bekomme einen Arbeitsplatz.
Seine Texte ergänzt Semsrott durch PowerPoint-Präsentationen, die er bald als putzig, bald als peinlich-primitiv deklariert, um der Alliteration zu folgen. Auch sie sind witzig und geistreich und unterstützen seine Lesung. Inhaltlich spiegeln sie den Kern seiner Aussagen und Pointen wieder, beispielsweise, warum Nico deprimiert ist.
Zu oft allerdings rast er durch die Folien – so eilig wie bei einer schlechten Inhaltspräsentation, bei der der Vortragende schnell seine Unwissenheit kaschieren und den Vortrag zum Ende bringen möchte.
Text – Format
Obwohl Semsrotts Texte gut pointiert sind, schlingern sie doch zeitweise ziemlich einsam um das Großthema des Abends herum. Man merkt, dass sie eher einem kurzen Slamvergnügen Rechnung tragen als einen ganzen Abend lang ein zusammenhängendes Programm darzustellen. Dazu kommt, dass den Zuschauer das Gefühl beschleicht, in dieser Vorstellung missioniert zu werden, so energisch wie Semsrott den moralischen Zeigefinger in die Luft emporhebt und den Kapitalismus dieser Zeit anprangert. Um es mit seinen Worten auszudrücken: „[Satire] muss wehtun, sie muss stören. Und zwar die richtigen. Alles andere ist belanglos, also Comedy.“
Nico Semsrott: Kabarettistische Lesung Freude ist nur ein Mangel an Informationen
Duisburg, Grammatikoff, 27.09.2012, 20:00 Uhr