Daniela Chmelik erzählt in Walizka von einer jungen Frau, die weiß, was es bedeutet, sich so richtig dreckig zu fühlen. So karg wie die Gefühle ihrer Protagonistin ist auch die Sprache ihres Debütromans.
Von ESRA CANPALAT
Sie mag „die Trostlosigkeit herbstlich-nackter Kleingärten und Hamburger Wetter“ heißt es in der Autorenbeschreibung Chmeliks. Dieses Faible für das Nasskalte spiegelt sich auch in der Geschichte wieder, die sie uns erzählt. Liza, die Protagonistin ihres Romans, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, treibt sich gerne an Orten rum, die grau und trostlos sind. Auch sie liebt die Verlassenheit von Schrebergärten, verbringt sie doch zum Ende des Romans die meiste Zeit im kalten Schuppen ihrer dementen Oma, in alten Erinnerungen schwelgend und sich, wie die meiste Zeit, in ihrer Trauer suhlend. Zudem scheint Liza auch alles dafür zu tun, ihr Leben noch grauer und trostloser zu machen, indem sie zu viel trinkt, bedeutungslosen Sex mit bedeutungslosen Menschen hat und Freunde, wie die schwanengleiche Swantje, enttäuscht oder verletzt. Immer wieder spricht sie von ihrer verflossenen Liebe Tom in Kraków, von Kostja, und richtet ihre Ausführungen oftmals an ein unbekanntes „Du“, das sie ebenfalls noch unglücklicher zu machen scheint, als sie es ohnehin schon ist. Liza ist also Meisterin in der Kunst, sich schlecht zu fühlen. Da erscheint ein Roadtrip in den Osten zusammen mit Swantje und der nervigen Pia zunächst das beste Rezept für ihr trauriges Gemüt zu sein.
Ich packe meinen Koffer und ich nehme mit: Noch mehr Trostlosigkeit
„Lizka, Walizka!“, schrie Lizas Opa immer, wenn sie zusammen mit ihrer Oma ans Meer fuhren, denn Walizka heißt Koffer auf Polnisch. Damit wäre auch der Titel des Romans geklärt. Liza scheint also dazu prädestiniert zu sein, rastlos und ohne Ziel im Leben umherzuirren. Der Kenner von Roadtrip-Erzählungen weiß, dass Menschen darin weniger Kulturreisen unternehmen als vielmehr einen Selbstfindungstrip. Bei Lizas Reise, auf die sie sich anfangs sogar sehr freut, hat man den Eindruck, dass diese eher ein Selbtverlierungstrip ist: teilnahmslos blickt sie aus Zugfenstern, schwebt wie ein Geist durch die vom Krieg gezeichneten Städte. Es heißt, sie würden in osteuropäische Metropolen reisen, nach Belgrad, Odessa, Sarajevo. Doch beim Lesen hat man den Eindruck, dass sie sich ständig an derselben Stelle befinden, gleichen sich doch diese Orte in ihrer trostlosen und ärmlichen Beschreibung. Von einem „Roadtrip“ kann, zumindest aus der Sicht Lizas, nicht die Rede sein, da weder „Road“ noch „Trip“ vorhanden sind.
Das Gefühl, dass das Karussell sich unaufhaltsam dreht
Der Eindruck des Stillstands verstärkt sich noch durch die Spärlichkeit der Sprache. Es ist beeindruckend, wenn ein Autor es schafft, durch einen minimalistischen und kargen Stil die Gefühlswelt des Protagonisten zu durchleuchten oder den unscheinbaren Alltag zu beschreiben. Chmeliks Stil, der sich größtenteils durch eine Ansammlung von parataktischen, abgehackten Sätzen auszeichnet, kann aber auch nerven: „Eine Wolke, die aussieht wie ein Wolf, verschlingt den Mond. Die letzten Blätter im schwarzen Baum bewegen sich manchmal. Straßenhunde kläffen, heiser, von zwei Uhr bis drei. Ich schlafe im Sessel ein.“ An anderer Stelle ist dieser Stil wieder äußerst passend, wenn beispielsweise Liza die schnell an ihr vorbeiziehenden Landschaften beschreibt: „[…] Moscheen und Minaretts, fußballspielende Kinder zwischen Pfützen auf Höfen mit Hühnern, Heuhaufen mit einer Plastiktüte obendrauf […]“. Doch leider verliert man beim Lesen oft den Faden, weiß nicht mehr genau, was da gerade eigentlich erzählt worden ist. Detailverliebt ist Chmelik keineswegs. Die Dürftigkeit der Worte gibt eindrucksvoll die Gefühlswelt der Protagonistin wieder. Und dennoch ist man, ähnlich wie Liza, irgendwann ermüdet. Genau wie die Reise bleibt die Aufmerksamkeit auf der Strecke.
Ein immer wieder auftauchendes Motiv ist das des Karussells. Liza träumt davon, wie sie ungesichert in einem Karussell sitzt, das sich immer schneller und schneller dreht, nicht mehr aufzuhalten ist. Doch was hier zunächst als Motiv der Dynamik erscheint, entpuppt sich wiederum als Stillstand. Denn Lizas Gefühlskarussell dreht sich zwar beständig, aber die Tristesse bleibt weiterhin bestehen. Das ist auch das Gefühl, das der Leser bei der Lektüre hat. Immer mehr gerät man in die wirbelnden Fänge des Leids Lizas und möchte irgendwann raus aus diesem Karussell der Einseitigkeit und des Sich-Schlecht-Fühlens.