Der Karikaturist, Keramik-Künstler und Journalist Rafael Bordalo Pinheiro gilt als Begründer des Comics in Portugal. In Deutschland ist er ein Unbekannter. Lissabon erlesen, die Dritte.
Von PHILIPP KAMPSCHROER
Zé Povinho trägt meist einen runden Hut, zu feierlichen Anlässen ziert auch gerne mal ein Zylinder sein schwarzes Haar, das ebenso buschig ist wie sein Kinnbart. Sein manchmal mehr, manchmal weniger fülliger Körper versteckt sich in der Regel unter einem weißen Hemd und einer weiten Hose, die von dünnen Riemen über seinen Schultern getragen wird. Zé Povinho schaut sich mal eine Zirkusvorstellung an, lässt sich mal von Politikern in Römer-Rüstungen mit Lanzen in den Po piksen und muss sich schon mal von einem „Freiheits“-Engelchen ins Ohr flüstern lassen: „Tu o que nao tens é amor da patria“. „Was du nicht besitzt, ist Vaterlandsliebe“.
Zé Povinho ist, so der Kunsthistoriker José Augusto França, „Bild und Symbol des portugiesischen Volkes, fähig zu Lachen und Spott im Gewirr der Geschichte, die ohne ihn vonstattengeht – aber stets auf seine Kosten“. Das macht ihn zur wohl berühmtesten Figur aus der Feder Rafael Bordalo Pinheiros. Ein Porträt.
Künstlerische Bildung
1846 in Lissabon geboren, wächst Rafael Bordalo Pinheiro in einer Künstlerfamilie auf. Sein jüngerer Bruder Columbano wird zu einem der bedeutendsten Maler des Realismus in Portugal aufsteigen. Der ältere Rafael hingegen wendet sich – nach einem kurzen Zwischenspiel als Schauspieler – dem Zeichnen und dem Formen von Keramik zu. 1872 schreibt er erstmals Kunstgeschichte: In dem Heft mit dem absichtlich sperrigen Titel Apontamentos Sobre a Picaresca Viagem do Imperador Rasilb Pela Europa (Aufzeichnungen zur pikaresken Reise des Kaisers Rasilb durch Europa) finden sich, so Pedro Bebiano Braga vom Museu Bordalo Pinheiro, „alle Merkmale eines Comics: narrative Kontinuität, Verwendung von Sprechblasen und ein Held.“ In Portugal ist dieses Genre bis dahin unbekannt. Drei Jahre nach der Veröffentlichung der Apontamentos gründet Rafael mit Freunden A Lanterna Mágica (Die magische Laterne), die erste tägliche Kunstzeitschrift des Landes. Im Gründungsjahr 1875 erschafft Bordalo Pinheiro hier die satirische Figur, die seinen bis heute andauernden Ruhm begründet: Zé Povinho, der Allerweltsmann aus der Provinz, der sich seiner Machtlosigkeit gegenüber Regierung und Obrigkeit bewusst ist. Diese Auffassung hat in Portugal Tradition, stets gepaart mit einer Prise Selbstironie.
Der „portugiesische Michel“
Noch im Jahr der Kreation des lusitanischen Pendants zum „Deutschen Michel“ (dessen Personifikation stand jedoch keinesfalls von Anfang an für ironische Selbstkritik!) bestätigt Bordalo Pinheiro selbst eine portugiesische Tradition und wandert für vier Jahre – wie so viele seiner Landsleute – nach Brasilien aus. Nach seiner Rückkehr 1879 gründet er 1884 in Caldas da Rainha nördlich von Lissabon eine Keramik-Fabrik, die bis heute fortbesteht. In den folgenden Jahren stellt sich internationaler Erfolg ein. Bordalo Pinheiros eigene Keramiken werden in Madrid und in den USA ausgestellt. Bei der Pariser Weltausstellung 1889 darf der Familienvater den portugiesischen Pavillon gestalten und erhält den Orden der Ehrenlegion.
Wilhelm Busch als Vorbild
Die Karikatur dient stets als Bezugspunkt für den umtriebigen Künstler – auch bei seinen häufig parodistischen keramischen Arbeiten. Von Anfang an schult er sich auch an ausländischen Künstlern. „Die Zitate aus Wilhelm Buschs humoristischem Werk sind“, so Braga, „ein Beispiel dafür, wie er [Bordalo Pinheiro] sich ständig auf dem Laufenden hielt, was auf dem Gebiet des Humors außerhalb der Grenzen Portugals geschaffen wurde.“ Ohne Zweifel sind die komischen Bildergeschichten Buschs der wichtigste Einfluss in Bordalo Pinheiros grafischem Werk.
Zé Povinho und die Finanzkrise
Der Frage nach der Aktualität eines Künstlers, gar einer Kunstfigur, haftet in der Regel der Muff feuilletonistischer Beredsamkeit an. Tatsächlich aber erlangt Bordalo Pinheiros Karikatur Zé Povinho, als Symbol des geschundenen kleinen Manns, in Zeiten der Finanzkrise geradezu tragikomische Züge. Als die von Bordalo Pinheiro gegründete Kunstwerkstatt in Caldas da Rainha 2008 kurz vor dem Aus stand, reagierten die Mitarbeiter kreativ: Als Antwort auf die Herabstufung von Portugals Kreditwürdigkeit durch die Rating-Agentur Moody’s kreierten sie einen Keramik-Zé-Povinho, der Moody’s frech den Arm zum provokativen manguito-Gruß entgegenstreckt. Letztendlich konnte die Fabrik durch Investoren gerettet werden. Neue Absatzmärkte findet man nun ausgerechnet in den Ländern, auf die sich heute der Frust der Portugiesen richtet, in Frankreich und Deutschland.
Der Künstler und seine Figur
Keine Frage: Es steckt viel Klischee in der Figur des Zé Povinho. Aber wofür steht er genau? Ist es die so oft beklagte Realitätsflucht des Portugiesen? Ist Zé Povinho sogar eine Art geistiger Vorläufer der Heteronyme Fernando Pessoas? Braga ist anderer Meinung. Wenn man ein Alter-Ego für Bordalo Pinheiro wählen müsste, wäre es der Kater. „Er hatte mehrere Hauskater. Unzählige Male zeichnet er sie im Gespräch miteinander, wie in einer Vervielfachung der Persönlichkeit.“
Zum Glück ist doch nicht alles so furchtbar ernst.
In der nächsten Folge von Lissabon erlesen nähern wir uns Leben und Werk des Schriftstellers Mário de Sá-Carneiro.
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