Die glitzernde Scheinwelt Hollywoods ist bekanntlich nur eine Seite der Medaille: die Stadt der Engel und Welt der Schönen und Reichen, die über die narzisstisch-roten Teppiche der Filmfestspiele und der sich selbst feiernden Filmentourage stöckeln – aber wie könnte es anders sein, wo Licht, Glanz und Gloria erhellen, ist die Schattenwelt nicht weit. Ein Moloch der Verlierer, Gauner, Junkies, Nutten und vom Leben Gebeutelten, der bereits in Sick City das Schattenriss-Drogen-Casa-Mobile bildete, wird hier zum Spielfeld von Black Neon.
Von NADINE HEMGESBERG
Nach Sick City erschien nun die zweite deutschsprachige Übersetzung eines Tony O’Neill Romans im Walde+Graf Verlag. Black Neon ist die süffig zu lesende Fortsetzung rund um Randal und Jeffrey, die sich vormals in einer Entzugsklinik kennenlernten und den Coup ihres Lebens planten, um gekonnt zu scheitern. In einer fast bibliophilen Ausgabe und mit den erneut grandiosen Illustrationen von dem in Zürich lebenden Plakatkünstler und Typografen Michel Cassaramona weiß auch dieser Roman Bukowski-, Timmerberg- und Horsley-Leser zu begeistern. Dennoch leichte Katerstimmung: Das Lektorat hat geschlampt.
Das Leben ist die Droge
Randal hat es geschafft: Er ist clean. In ihm pocht aber noch immer das Junkie-Herz, die Aussicht auf das Vermögen, das ihm sein Bruder, solange er nicht clean ist, verwehrt, lässt ihn durchhalten. Auch wenn er sich die Birne nicht mit Speed zudröhnt, ist er dem ein oder anderen Fläschchen Whiskey gar nicht mal so abgeneigt, denn Sucht ist ein dehn- und interpretierbarer Begriff. Jeffrey hingegen lässt sich von der transsexuellen Rachel, seiner Lebens- und Drogengefährtin, aushalten und hängt noch immer an der Nadel. Er lebt in den Tag hinein und scheint – komme, was wolle – seinem Schicksal fatalistisch und treu ergeben. Die beiden sind das richtige Gespann für den vor über einem Jahrzehnt gefeierten Regisseur Jacques Seltzer, um dessen mythenüberlagertes zweites Regieprojekt „Black Neon“ in die Wege zu leiten. Da ist sich Seltzers Agent Gibby sicher, der sich bei einem AA-Treffen an Randal heranzeckt und seine dienstlichen Netzwerkaktivitäten pflegt. Seltzer, ein seit seinem cineastischen Erfolg mit „Dead Flowers“ nur noch als Fotograf von fragwürdigen, zwischen Pornografie und Kunst changierenden Bildbänden in Erscheinung tretender, inszenierter europäischer Bohemien, will mit „Black Neon“ Hollywoods Scheinwelt den Spiegel vorhalten. Ein hedonistisches, selbstzerstörerisches Treiben, das den Nährboden für „Black Neon“ liefern soll. In seinen und auch Randals und Jeffreys Eskapaden scheinen die Drogenerlebnisse von O’Neill selbst durch.
Bonnie und Bonnie
Neben dem zu realisierenden Filmprojekt „Black Neon“ folgt der Leser in einem zweiten Handlungsstrang Genesis Shania Neilson, einer abgehalfterten Nutte und Meth-Süchtigen, und der überbordend inszenierten Brutalo-Lesbe Lupita. Lupita taucht bei dem Drogendealer Paco, Genesis’ Lover, auf, als dieser Genesis gerade windelweich prügelt: Genesis hatte die Dreistigkeit, ihm den Stoff unterm Arsch wegklauen zu wollen. Lupita erschießt Paco und flüchtet mit Genesis aus dem verhassten Reno. Ein typisches Bonnie und Clyde Motiv also, das hier von O’Neill lanciert wird. Lupita und Genesis gegen den Rest der Welt; zwei gescheiterte Existenzen rauben und morden sich in einem Roadmovie die Westküste entlang, bis sie schließlich Los Angeles erreichen. Unweigerlich muss man bei dieser Konstellation an Filme wie Thelma und Louise (Regie: Ridley Scott, 1991) oder Natural Born Killers (Regie: Oliver Stone, 1994) sowie den Roman Baise-moi – Fick mich (1994) und die gleichnamige Verfilmung (2000) von Virginie Despentes denken. Während Despentes ihre Figuren Manu und Nadine konsequent skrupellos und anarchistisch erzählt, verfällt O’Neill jedoch in die Weichspülvariante stereotyper Charaktermotivierung. Im Gegensatz zu dem heterosexuell orientierten Duo-Infernale Manu und Nadine, das ohne jeglichen Moralkodex mordet und sich in seinem gesellschaftlichen Ausstieg konsequent opportun stellt, generiert vor allem die treibende Kraft Lupita der O’Neillschen, homosexuellen – aber weitaus heteronormativer agierenden – Bonnie und Bonnie Variante eine spirituelle Rechtfertigung ihrer Handlungen. Diese Ambivalenz zwischen Santa-Muerte Kult, religiösem Übereifer und der puren Lust am Töten, die als eigentliche Triebkraft von Lupita angesehen werden kann, wirkt in mancherlei Situation einfach nur ungewollt komisch: „Obwohl sie in den Monaten danach [nach ihrem ersten Mord] versucht hatte, nicht mehr daran zu denken, wusste sie insgeheim, dass sie eines Tages wieder diese Macht würde ausüben wollen. Mit jedem weiteren Leben, das Lupita auslöschte, wurde es ihr unmöglich, auf diese unglaubliche Macht zu verzichten.“.
Die Katerstimmung
Es gäbe wirklich nicht viel zu bemängeln bei dieser Fortsetzung im aufwändigen Schmuckgewand, hätte das Lektorat bei Walde+Graf nicht bei auffällig vielen Romanpassagen im Tiefschlaf gelegen. Zum einen finden sich auf vielen aufeinander folgenden Seiten grammatikalische und orthografische Fehler, zum anderen wollen Klappentext und das Erzählte zwischen den Buchdeckeln nicht so ganz zueinander passen, wenn es um den extravaganten Jacques Seltzer geht, der den Lesern auf dem Einband auf einmal als der „legendäre[] Filmemacher[] Jaques [sic!] Selzer [sic!] “ vorgestellt wird. Wenn schon in den literarisch-bibliophilen Rausch lesen, dann bitte beim nächsten Mal ohne den Korrekturkater. Cheers.