Am 6. Dezember 2012 erklärte Griechenlands Premier Antonis Samaras im Interview mit einer deutschen Boulevardzeitung, “Steuerflucht ist eines unserer größten Struktur-Probleme.“ Dies hatte der Krimi-Autor Petros Markaris schon im Jahr zuvor erkannt. In Περαἰωση (dt. Zahltag), dem zweiten Roman der Trilogie über die Bankenkrise und dem insgesamt achten Krimi des Ermittlers Kostas Charitos, erfährt der Leser, wie man säumige Steuerzahler am besten zur Kasse bittet. Hätte Samaras diese Anleitung gelesen, dann hätte er gewusst, was zu tun ist. Oder er hat sich auch nur an den Klappentext gehalten: «Το μυθιστόρημα δεν συνιστάται για απομιμήσεις!» (Nicht zur Nachahmung empfohlen!)
Von VERENA SCHÄTZLER
Als Petros Markaris eröffnete, eine Romantrilogie über die Krise in Griechenland schreiben zu wollen, reagierte die Öffentlichkeit mit Unverständnis. „Herr Markaris, Sie wollen drei Romane über die Krise schreiben? Und Sie glauben, dass die Krise so lang dauert?“ Insgeheim befürchtete er sogar, dass sie noch länger dauern würde und es so im schlimmsten Fall von Nöten sein werde, dass er „die erste Trilogie abschließe und mit einer neuen beginne.“ Schließlich sei die Krise „gekommen, um zu bleiben“. So habe er genug Zeit, seinen Lesern in und außerhalb Griechenlands nicht nur die Mechanismen der Krise vor Augen zu führen, sondern auch ihre Entwicklung und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die (nicht nur Athener) Bevölkerung aufzuzeigen
Nach den Faulen Krediten kommt der Zahltag
In Faule Kredite, dem ersten Teil der Krisentrilogie, erlebte der Leser, wie die Krise begann, das Athener Leben lahm zu legen. Überall wurde diskutiert und protestiert, das Geld wurde immer knapper und auch auf den Straßen ging nichts mehr, obgleich das ausnahmsweise eher an den ständigen Demonstrationen als am chaotischen Athener Verkehr lag, wie Kommissar Charitos bemerkte. In diesem gesellschaftlichen Umfeld kommt es zu mehreren Morden an geldgierigen Bankern und Finanzexperten, die von einem Opfer der Bankenkrise mit einer Machete enthauptet wurden.
Jetzt ist Zahltag und die Auswirkungen der Sparmaßnahmen treffen die Menschen mit voller Wucht. Gleich zu Beginn erfährt der Leser von den deprimierenden Zuständen in Athen, in Form eines kollektiven Suizids vierer Rentnerinnen, die ihre Medikamente nicht zahlen konnten und schließlich beschlossen, lieber aus dem Leben zu treten, als der Allgemeinheit zur Last zu fallen. Resignation und Verzweiflung gehen um in der griechischen Hauptstadt um. Die Jugend sieht auch keine Perspektive mehr für sich. So nehmen sich zwei Studenten das Leben. Auch Charitos und seine Familie bekommen die Auswirkungen der Krise zu spüren. Seine Tochter Katerina überlegt, Griechenland zu verlassen und nach Afrika auszuwandern, da sie unter den derzeitigen Bedingungen keine Zukunft für sich sieht. Allerdings scheinen nicht alle Athener an den Bedingungen zu verzweifeln. Einer handelt. Mit Drohbriefen, Pfeil, Bogen und Schierlingsgift macht sich ein anonymer Verbrecher, der sich nur der „nationale Steuereintreiber“ nennt, Jagd auf säumige Steuerzahler, die er für die Wurzel dieses Übels erachtet. Sein Konzept geht auf: nach erfolglosen Drohungen und daraus resultierenden Morden, beginnen innerhalb von nur zehn Tagen 7,8 Millionen in die Staatskasse zu fließen und die Bevölkerung feiert den griechischen Robin-Hood, der die Reichen in die Knie zwingt. „Dermaßen hohe Einnahmen innerhalb eines so kurzen Zeitraums wären von einem verfilzten und ineffektiven Staatsapparat wie dem griechischen niemals erzielt worden.“ Ein Einzelkämpfer schafft mit radikalen Mitteln und in kurzer Zeit das, was der aufgeblähte Regierungsapparat in Jahren nicht geschafft hat!
Charitos steht nun vor einem beruflichen Dilemma: Er will den Verbrecher dingfest machen und der Gerechtigkeit Genüge tun, soll aber die Ermittlungen einstellen und ihn weitermachen lassen, denn “ein frei herumlaufender Mörder ist besser als ein Volksheld im Gefängnis.“ Er ermittelt verdeckt weiter, denn er traut dem Ganzen nicht. “In all meinen Dienstjahren bei der Polizei ist mir noch nie ein Mörder untergekommen, der tötet, um für den Staat Geld einzusammeln. Deshalb muss es noch ein anderes Motiv geben.“ Er soll Recht behalten.
Zahltag, ein Gesellschaftsroman mit Krimihandlung
Für Petros Markaris ist die Stadt untrennbar mit der Handlung des Kriminalromans verbunden. Auch wenn diese Verbundenheit erst wachsen musste. Wurde in den ersten Romanen, so zum Beispiel bei Conan Doyle oder Christie, noch aus Liebe oder Habgier gemordet, herrschen in den Kriminalromanen von heute Wirtschaftsverbrechen vor. Das Aufgreifen neuer Themen veränderte auch die Beziehung des Autors zur Stadt. Heute ist Mord ein Teil des Geschäftsgebarens. Die Stadt wird zum „Supermarkt des Verbrechens“; wie Markaris es in seinem autobiografischen Werk Der Wiederholungstäter nennt. Legale und illegale Unternehmen nutzen beide die städtische Infrastruktur, greifen in das Stadtbild ein, teilen Unternehmenszweige in ihr auf, wie man zuvor Wohnviertel und Vororte schuf. Die Stadt wird nicht nur zum Handlungsort des Geschehens, sie wird Hauptdarsteller. Das Ergebnis dieser Entwicklung, so findet Markaris, ist, „dass der heutige Kriminalroman eher ein Gesellschaftsroman mit Krimihandlung denn ein Krimi im herkömmlichen Sinne ist.“
Auch Zahltag ist eher ein Gesellschaftsroman mit Krimihandlung in dem Markaris schonungslos mit dem griechischen Nationalcharakter und dem unfähigen politischen System seines Landes abrechnet. In einem Land, das seinen Einwohnern „null und nichts bietet“, sieht sich die junge Elite gezwungen, in die Heimatländer Griechenlands Immigranten auszuwandern, statt beim Aufbau zu helfen. Die „Sozialen Kreise“ hingegen, die zuvor für den Untergang des Landes verantwortlich waren, suchen nun die Schuld beim Staatsapparat, der in ihren Augen nichts anderes als eine “Mogelpackung“ und darüber hinaus Befehlsempfänger Deutschlands ist. Der Großteil der Bevölkerung leidet unterdessen und weiß in seiner Verzweiflung nicht, was zu tun ist.
Markaris beschreibt als Krimiautor spannend und nachvollziehbar, wie Charitos dem nationalen Steuereintreiber auf die Spur kommt. In seiner Eigenschaft als Sozialanthropologe zeichnet er ein schonungsloses und realistisches Bild der gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustände.