Die Hölle auf Erden

Dan Brown - Inferno   Cover: Bastei LübbeIn einem packenden Thriller begleiten wir den bereits bekannten Symbologen Robert Langdon auf einer Tour durch die Hölle: In Dan Browns Inferno werden die Grenzen zwischen Erlebnis, Erinnerung und Illusion auf so beängstigende Weise aufgehoben, dass man selbst als Leser geneigt ist, seine eigene Realität infrage zu stellen.

Von SARAH HERHAUSEN

Robert Langdon, der berühmte Symbolforscher aus Harvard, wird von einem immer wiederkehrenden Traum verfolgt: Eine Frau steht an einem Fluss, „dessen schäumende Fluten rot waren von Blut. Die Frau stand am anderen Ufer, ihm zugewandt, reglos und ernst, das Gesicht mit einem Schleier verhüllt. ‚Suche‘, flüsterte die Frau. ‚Suche, und du wirst finden.“ Ein Traum, der einem Schauer über den Rücken fahren lässt: „Jetzt waren es Hunderte, vielleicht Tausende, manche noch am Leben, sich windend in entsetzlichen Qualen, unvorstellbare Tode sterbend … verzehrt vom Feuer, unter Fäkalien begraben, einander verschlingend. Die klagenden Schreie der Gepeinigten hallten über das Wasser.“

Suche und Finde. Doch das einzige, das Robert Langdon findet, ist sich: Er findet sich in einem Krankenhausbett in Florenz wieder, als er aufwacht. Damit bricht seine geordnete Welt über ihm zusammen und sein und unser Abenteuer beginnt.

Mit der Ärztin Sienna Brooks flieht er vor einer stachelhaarigen Auftragskillerin, der italienischen Polizei und einem Sondereinsatzkommando – immer auf der Suche nach der Lösung des Rätsels um Dante Alighieris Inferno und dessen Verarbeitung in Botticellis La Mappa dell’Inferno. Diese Karte der Hölle ist Langdons einziger Schlüssel zum Rätsel und der Versuch, einen neuartigen Virus zu stoppen, durch den die Weltbevölkerung wie zu Pestzeiten dezimiert werden soll: eine Maßnahme gegen die Überbevölkerung.

Die Maßnahme eines Wahnsinnigen: Inferno

In einem rasanten Tempo peitscht Dan Brown uns durch seine Geschichte, die immer wahnsinnigere Sphären erklimmt. Die vielen Dante-Zitate werden durch den Forscher Langdon in ein neues Licht gerückt und scheinen wie eine Prophezeiung für die anstehende Bedrohung – und sind ganz nebenbei großes Kino der Intertextualität. Dantes Göttliche Komödie besteht insgesamt aus drei Teilen, der Hölle (Inferno), dem Fegefeuer (Purgatorio) und dem Paradies (Paradiso). Beschrieben wird der Weg des gleichnamigen Protagonisten Dante, der zusammen mit dem Dichter Vergil die Hölle und die Kreise des Läuterungsberges durchwandert, um dann das Paradies zu erreichen, wo ihn seine Liebe Beatrice erwartet. In Browns Thriller wurden Textpassagen aus dem Inferno übernommen, allerdings auch das Sündenmotiv: Bevor eine Seele den Läuterungsberg betreten darf, werden ihm sieben P’s (wie peccatum) auf die Stirn geritzt als Zeichen für die sieben Todsünden der katholischen Kirche: Hochmut (superbia), Geiz (avaritia), Wollust (luxuria), Zorn (ira), Völlerei (gula), Neid (invidia), Faulheit (acedia).

Neben diesen Anlehnungen und Zitaten, vor allem aus dem ersten Teil der Göttlichen Komödie, finden sich auch biografisch bezogene Verbindungen zu Dante. So spielt die Handlung vor allem in Florenz, der Geburtsstadt Dantes, daneben auch in Venedig und Istanbul. Die Personenkonstellation der Protagonisten ist den Vorgängerbüchern, wie z. B. Sakrileg oder Illuminati, ähnlich, das Baukastenprinzip und die eingebauten Cliffhanger bekannt (siehe auch “Der Dan Brown Code”, 14. Mai DIE WELT), aber dem Lesevergnügen bei Weitem nicht abträglich. Ganz im Gegenteil: Trotz manch verstrickter Ausschweifungen des Buches ist die Geschichte durchgehend spannend.

Kritisieren könnte man, wie Brown die Größe der Katastrophe ausmalt. Themen wie Geheimorganisationen, Codes, Symbole, historische Gemälde oder Texte, Intrigen usw. sind aus den anderen Büchern zwar schon bekannt, aber eine globale Bedrohung durch einen hinsichtlich der Todesrate pestähnlichen Virus dagegen erscheint an manchen Stellen einfach zu abgefahren und bedient beinahe das Science-Fiction-Genre. Trotz allem findet der Leser immer wieder Bezugspunkte durch Browns Methode des Zusammenbastelns von historischen Fakten, Halbwahrheiten und skurrilen Ideen. Kirchenpolitisch distanziert sich dieses Buch allerdings: Wo zuvor Intrigen der katholischen Kirche und kirchlicher Sekten thematisiert wurden, geht es in diesem Buch eher um wirtschaftliche Opportunisten, die für Geld alles machen und jeden schützen. Mit nur einigen wenigen Prinzipien lässt sich dieses Geschäft leicht aufrechterhalten: Mach deine Arbeit, stell keine Fragen, richte nicht, liefere die gewünschte Leistung, vertrau dem Klienten.

Wer zuvor gerne die bösen Illuminaten verfolgte und Verschwörungstheorien rund um den Opus Dei verschlang, wird ebenso an diesem in den literarischen Mixer geworfenen Dante-Botticelli-Aufguss seine Rätselfreude haben.

Dan Brown: Inferno
Bastei Lübbe, 688 Seiten
Preis: 26,00 Euro
ISBN: 978-3785724804

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Dante Alighieri: La Commedia / Die Göttliche Komödie
I / Inferno / Hölle
Italienisch / Deutsch
In Prosa übersetzt und kommentiert von Hartmut Köhler
Stuttgart: Reclam. 2010.
ISBN: 978-3-15-010750-8

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