Noch bevor ihre Werke bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 dem Feuer und der nationalsozialistischen „Aktion wider den undeutschen Geist“ zum Opfer fielen, flüchtete die Schriftstellerin Anna Seghers (1900 – 1983) kurz nach der Machtergreifung Hitlers und nach einer Verhaftung durch die Gestapo aus ihrer deutschen Heimat.
von PIA ALEITHE
Während in Deutschland unter anderem ihr erst im Vorjahr im Gustav Kiepenheuer Verlag erschienener Roman Die Gefährten und ihre Novelle Aufstand der Fischer von St. Barbara, für welche Seghers 1928 den Kleist-Preis erhielt, brannten, flüchtete die Autorin über die Schweiz und Paris ins mexikanische Exil. Ihr dort erschienenes Werk Das siebte Kreuz wurde ihr größter Erfolg.
Dem NS-Regime ein Dorn im Auge
Durch ihre sozialistischen Schriften und ihr politisches Engagement gilt Anna Seghers, Jüdin und KPD-Parteimitglied seit 1928, als die „heilige Mutter des Kommunismus“ (vgl. Wiedermann, S. 187), die sich auch im Exil für antifaschistische Bewegungen (z.B. Redaktionsgründung der Zeitschrift Bewegung Freies Deutschland) einsetzte. Neben dem Roman Das siebte Kreuz wirkt auch ihr Buch Die Gefährten wie ein Manifest des kommunistischen Widerstandes. In der zeitgenössischen Presse wurde es als „Märtyrer-Chronik“ (vgl. Siegfried Kracauer in der Frankfurter Zeitung, 1932) verehrt, die von Kämpfern für die revolutionären Bewegungen der Nachkriegszeit berichtet. Das Werk, das sich wie eine Anleitung zum Widerstand liest, berichtet von allem, was es für die nationalsozialistische Diktatur in Deutschland um 1933 zu verhindern galt: Flugblätter, geheime Treffen Oppositioneller und Gegenstimmen allgemein, Demonstrationen, Streik, Revolutionen, und natürlich: Genossen. Die Gefährten bzw. die Genossen in Anna Seghers Werk erfahren den weißen Terror der Russischen Revolution in seiner ganzen Brutalität. Flüchtlinge erleben gnadenlose Verfolgung und von Gewalt geprägte Verhörszenen. Das nationalsozialistische Regime fürchtete aber nicht nur die schockierende Wirkung dieser Darstellungen. Noch unvorteilhafter für die geplante Ausrottung des Kommunismus ist die Darstellung des Widerstandes, mit welchem die Charaktere auf die ihnen zuteilgewordene (Staats-)Gewalt reagieren.
“Der Kommunist schweigt bei Anna Seghers auch unter abscheulicher Folter und stirbt für die Sache.” (Brandes, 1992)
Dramatis Personae
Nach dem ungarischen Bürgerkrieg 1919 verstreut es die Gefährten – den Kommandeur Faludi, den Offizier Peter Böhm, die Hochschullehrer Dr. Bató und Dr. Steiner und den Arbeiter Pali – über Teile Mitteleuropas. In den folgenden zehn Jahren kämpft jeder von ihnen gegen die Verfolgung und mehr für den Kommunismus und den Widerstand als für das eigene Leben und die eigene, neu gegründete Familie. Geplagt von Gewalt, Verfolgung und Angst gestaltet sich das Leben eher als ein Überleben. Hoffnung schöpfen sie nur aus ihren Verbindungen untereinander, neuen Freundschaften zu anderen Widerstandskämpfern und durch die gemeinsame Ideologie.
“Seit ich von Wien fort bin, sind meine Freunde von mir abgebröckelt. Meine Familie ist nur eine Zufallsfamilie. Meine Stelle auf der Redaktion ist nur eine Zufallsstelle. In der deutschen Partei habe ich keine Arbeit. Meine Kraft hat wohl bloß ausgelangt, mich vom Alten loszureißen, nicht im Neuen einzuwurzeln. Deshalb kann ich auch nicht mehr schreiben, keinen einzigen Satz mehr.” Niemals wird etwas über seine [Batós] Lippen kommen, er wird nicht einmal vor sich selbst klagen.” (Die Gefährten, S. 50)
“Gemeinsame Sache“
Anna Seghers zeichnet in Die Gefährten Portraits von Kämpfern für den kommunistischen Widerstand, deren Leben sich wie beiläufig kreuzen, dann wieder parallel oder aneinander vorbei verlaufen. Die Geschichten der einzelnen Gefährten wechseln sich mit hoher Geschwindigkeit ab, jedes der elf Kapitel ist in bis zu sechs Unterkapitel eingeteilt, die jeweils einen Charakter- und damit auch Erzählerwechsel bedeuten. Diese scharfen Schnitte zwischen den einzelnen Handlungssträngen sorgen für eine Beschleunigung des Erzählrhythmus und stehen symbolisch auch für das Muster von „scharfen Schnitten“, mit denen die Leben einzelner Gefährten durch ihre Feinde und Verfolger beendet werden. Zusammen mit den Geschichten der einzelnen Gefährten vermischen sich auch deren Identitäten: Denn so unterschiedlich die einzelnen Lebensläufe auch sein mögen, die gemachten Erfahrungen, die Gefühle, die speziellen Nuancen von Kampfgeist, Angst und Hoffnung sind allen Charakteren universal inhärent.
“Józsi kannte die Schmerzen, die einem das Innerste herausziehen. Man stemmte sich dagegen und biss sich die Zunge ab. Jetzt hätte er brüllen dürfen – Er hatte kein Geheimnis preiszugeben, keinen Führer zu verraten.” (Die Gefährten, S. 49)
Innere und äußere Orte
Sprachlich zeichnet sich Die Gefährten durch eine tiefgreifende und emotionale Ausdrucksweise aus. Auch heute noch trifft die Sprache des Textes mit der präzisen und gleichzeitig abstrakten Beschreibung von Ängsten und Hoffnungen in das Innerste des Menschen. Anna Seghers dringt gezielt in die inneren Gedankenräume der Charaktere ein. Die Beschreibungen von Seelenzuständen sind tiefgehend, doch wird eine gewisse emotionale Distanz gewahrt. Es handelt sich um eine kühle Art der Beobachtung. Tief und unnahbar dringt die Autorin auch in die äußeren, geografischen Räume der Geschichte ein, in die Zimmer und Wohnungen der Gefährten. In beiden Raumarten manifestiert sich der Austausch der Widerstandsbewegung. Die äußeren Orte des kommunistischen Widerstandes sind für die Figuren auch Orte der Verzweiflung und Depression. Die Figuren empfinden ihre Wohnungen und ihre neuen Heimaten zuweilen als ihnen feindlich gesonnen. Die als identitätsentleert erfahrene Architektur dieser Örtlichkeiten spiegelt nicht selten das Innenleben ihrer Bewohner. Das Spiel mit inneren und äußeren Räumen drückt gleichzeitig auch die bestehende Diskrepanz zwischen Heimat und Nicht-Heimat aus, die alle Figuren verspüren. In diesem Sinne ist Die Gefährten auch schon ein Vorausblick auf die folgende Exilsituation der Autorin.
“Als morgens alle fortgingen, blieb Bordoni unschlüssig auf der Schwelle stehen. Er war weich, es tat ihm weh, dass Pali nicht mehr da war. Er war entschlossen, aber sein Entschluss tat ihm weh. Er hatte Widerwillen, in sein eigenes Zimmer zurückzukehren. In diesen morschen Wänden, in diesem faulen Brei aus Frau, Hausrat und Kindern gab es nur eine feste Achse, an die man sich halten konnte, sein Armeegewehr unter dem Bett.” (Die Gefährten, S. 37)
Von einer vollkommen ideologieentleerten Rezeption des Buches ist zwar schon durch die Wahl des Themas und des Schauplatzes abzuraten, aber auch wenn die kommunistische Ideologie besonders die Gespräche unter den Gefährten durchdringt, sind es doch ihre Hoffnungen und Ängste, durch welche sich die Figuren letztendlich definieren. Die Gefährten ist ebenso ein Buch über das Leben wie über das Sterben, in welchem Anna Seghers über das Einzige berichtet, das stärker ist als die Furcht vor der Gewalt und dem Tod: die Hoffnung.
Ausblick auf das Ende
Ihren Widerstandskampf bezahlen einige der Gefährten mit ihrem Leben, andere mit ihrer Freiheit. Der Roman endet jedoch nicht so ernüchternd wie die Schicksale der Figuren vermuten lassen. Der Schluss des Romans markiert nicht den Endpunkt des kommunistischen Widerstandskampfes, vielmehr ist das Romanende erst der Anfang der großen kommunistischen Bewegung. Die letzten Überlebenden unter den Gefährten und ihre Nachkommen erleben, wie sich der Widerstand aus dem Untergrund erhebt:
“Bis zum heutigen Tag hatte Janek rote Fahnen nur herauswachsen sehen aus dunklen, hartnäckigen Menschenmassen, im höchsten Augenblick, unter dem Geknatter von Schüssen. Oder in den schwachen Händen von Knaben auf der Spitze von Telegrafenmasten unter dem großen leeren Himmel über der drohenden Stadt. Heute verzehrte die Stadt eine freudige Feuersbrunst. Auf den Dächern drehten sich Scheinwerfer und blendeten das Innerste der Stadt auf, das letzte Rot aus verborgenen Fenstern und Torbogen. Schon lag hinter ihnen der Kremlplatz, dunkel, fast einsam, während die Lebenden weiterstapften durch den Schnee, zusammengefroren mit ihren Fahnen, deren Tücher vor Kälte steif und massig waren. Von den Tribünen hinunter in die Masse, als schleuderten sie Steine von einer Brücke, warfen Redner die Parolen des Jahres, die Größe des sozialistischen Aufbaus, den Fünfjahrplan, die Einheit der Partei.” (Die Gefährten, S. 115)
Status Quo
Seit Anna Seghers Rückkehr nach Deutschland werden ihre Bücher hauptsächlich im Aufbau Verlag verlegt, aufgrund der großen Nachfrage gibt es jedoch auch zahlreiche Lizenzausgaben ihrer Werke. Zurzeit arbeitet der Aufbau Verlag an einer neuen Werkausgabe in 24 Bänden. Die Gefährten ist innerhalb dieses work-in-progress noch nicht ediert. Das Buch ist jedoch gebraucht und auch antiquarisch in unterschiedlichen Ausgaben erhältlich. Der Text ist sowohl als Einzelausgabe als auch in Sammelbänden zusammen mit anderen kürzeren Erzählungen und/oder der Novelle Aufstand der Fischer von St. Barbara käuflich erwerbbar.
Anna. Seghers. Die Gefährten. Darmstadt und Neuwied: Hermann Luchterhand Verlag. 1981. (= Sammlung Luchterhand Nr. 358)
Bibliographie
Als einschlägige Literatur zur Autorin sind besonders die folgenden Abhandlungen zu nennen:
Albrecht, Friedrich. Die Erzählerin Anna Seghers 1926–1932. Berlin: Rütten & Loening. 1965.
Albrecht, Friedrich. Bemühungen. Arbeiten zum Werk von Anna Seghers 1965–2004. Bern: Peter Lang. 2005.
Batt, Kurt. Anna Seghers. Versuch über Entwicklung und Werke. Mit Abbildungen. Leipzig: Reclam. 1973.
Brandes, Ute. Anna Seghers. Berlin: Colloquium Verlag. 1992 ( = Köpfe des 20. Jahrhunderts. Nr. 117)
Fähnders, Walter und Karrenbrock, Helga (Hrsg.). Autorinnen der Weimarer Republik. Bielefeld: Aisthesis Verlag. 2003 (= Aisthesis Studienbuch. Nr. 5).
Hilzinger, Sonja. Anna Seghers. Mit 12 Abbildungen. Reihe Literaturstudium. Stuttgart: Reclam. 2000.
Melchert, Monika. Heimkehr in ein kaltes Land. Anna Seghers in Berlin 1947 bis 1952. Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg. 2011.
Wünschmann, Anita. Anna Seghers. Jüdin, Kommunistin, Weltbürgerin – die große Erzählerin des 20. Jahrhunderts. Berlin: Hentrich & Hentrich Verlag. 2004.
Eine ausführliche Auswahlbibliographie (mit Abhandlungen aus dem Zeitraum 1990 bis 2000) zum Leben und Werk von Anna Seghers bietet auch die Universität Potsdam online unter http://www.uni-potsdam.de/u/germanistik/literatur20/fr_index.html
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