Liebe und andere Obsessionen

Else Buschheuer - Zungenküsse mit Hyänen   Cover: AufbauDer neue Roman Zungenküsse mit Hyänen von Else Buschheuer ist ein Chamäleon. Mal Detektivgeschichte, Liebesgeschichte, späte Coming-of-Age-Erzählung, Großstadtroman, Märchen, Trash, aber vor allem eines: großartige Unterhaltung. Die noch jungfräuliche, männliche Mittdreißiger-Landpomeranze Michael Rothe versucht den Mord an der „Roten Müllerin“ – der einst schönsten Frau der Stadt und nun Obsessionen auslösenden Leiche – aufzuklären und zugleich nicht dem Sirenengesang einer chauvinistischen Mephistopheles-Figur zu erliegen.

von NADINE HEMGESBERG

Michael Rothe will es wissen: Er schnürt sein Sackerl, versucht die Fußfessel namens Mutter abzuschütteln und will in der Großstadt mit seinem journalistischen Know-How vom Grimmelshausener Käseblatt einschlagen wie eine Bombe. Dass er dabei seine Wünsche und Hoffnungen wie einen Strauß bunter Ballons an ausgestreckter Hand hinter sich her schlörrt, komplettiert das Bild vom naiven Landbubi, dem es eigentlich vom Schicksal vorherbestimmt zu sein scheint, so richtig auf die Schnauze zu fallen. Sein Ziel ist die (Groß-)Stadt Rizz und seine Anlaufstelle der Patenonkel, seines Zeichens Verleger des Mittagskuriers mit dem Auftreten eines exzentrischen Luden: „Big Ben entstieg gerade einem Landrover, groß und bärenhaft, eine wuchtige Samtweste mit alten Posamentenknöpfen am Leib, einen Fellmantel darüber, ein Windspiel an der Leine.“

Das Ensemble an verrückten, spleenigen und kaputten Figuren, die so plakativ wie auch klischeehaft daherkommen, ist Buschheuer äußerst gelungen. Ob es sich dabei um die schwulenfeindliche Vermieterin Frau Puvogel handelt, „deren blau geäderte Brüste“ aus ihrem Dekolleté quellen und die „in ihrem leicht aasig riechenden Feuerwieselpelz [dampfte] und [pausenlos] schnatterte“, das Mädel, das sich aus Liebeskummer aus dem Fenster des Wohnturms stürzt und seither die Lähmung ihrer Beine vortäuscht oder der chauvinistische, im Rollstuhl sitzende Müller, der sich mit einer bunten Smartiesschatulle voller Drogen aufputscht und ständig ganz ungezwungene Orgien feiert. Aber halt! Stopp! Im wilden Paradies der pfauengefiederten Individualversager hat sich Schreckliches zugetragen, Geheimnisse wollen ins Licht gerückt und der Mord an der „Roten Müllerin“ – des Müllers Dauergeliebte – muss aufgeklärt werden. Im Folgenden eine kleine Aufschlüsselung des Genremixes.

Der Chamäleonroman

Zungenküsse mit Hyänen ist eigentlich alles und nichts. Buschheuer hat ihre Ingredienzchen in den großen Mixer geworfen und heraus kam unter anderem eine spannende Kriminalgeschichte – oder genauer eine Detektivgeschichte, in der Rothe als Journalist ermittelt und sukzessive mehr Hinweise sammelt, um den Mörder der vergifteten „Roten Müllerin“ zu fassen. Dabei verfällt er nicht nur der Müllerin – in deren Wohnung er lebt, in deren noch lauwarmen Kopulationslaken er sich zum Schlafen bettet –, sondern auch ihrem einstiegen Liebhaber Müller, der in bester Mephistopheles-Manier nicht um Rothes Seele, jedoch um dessen Jungfräulichkeit ringt. Ein Drama, ein modernes Märchen, in dem Müller den kleinen Hänsel auf seine Gang-Bang-Terrasse und in Teufels Küche lockt. Müller ist der Hauptverdächtige: ein Lebemann mit immensem Frauenverschleiß, von Buschheuer als Figur janusköpfig angelegt. Auf der einen Seite steht die ausgestrahlte Stärke, Überheblichkeit und Dominanz und auf der anderen seine Behinderung und die Alzheimererkrankung, die ihn zeitweise – ohne Medikation – zum bedürftigen Kind werden lässt.

Vorgetäuschte Großstadt

Buschheuer hat in Zungenküsse mit Hyänen wieder einmal ihre Beobachtungsgabe für den Großstädter von heute unter Beweis gestellt, wie bereits in ihrem Debüt Ruf! Mich! An! (2000) oder in ihren präzisen und sehr persönlichen Berichten über das Leben in New York nach dem 11. September 2001. Sie kreiert mit ihrem neuen Roman einen „Schein“-Großstadtroman. Else Buschheuer führt uns mit einem aufgeplusterten Rizz gekonnt an der Nase herum, dieses gibt sich als eine Allegorie Berlins oder einer anderen deutschen Metropole aus: das Mekka aller Kreativen, Schriftsteller und Journalisten, die Hüpfburg sensationeller Ideen und Seifenblase in einem. Wie gesagt, ein Schein, eine Illusion – so handelt es sich bei Rizz doch bloß um den Wunschtraum von Rothe, der unweit des Dunstkreises seiner Mutter nur wieder im nächsten klein verwobenen Kaff gelandet ist, dessen Geschehnisse halb so high-fashion-mäßig auch auf dem Grimmelshausener Schützenfest hätten stattfinden können.

Es knallt gleich – Liebe

Man mag es kaum glauben, aber dieser Roman erzählt auch von der Liebe. Liebe, wie sie einige nicht verstehen werden. Liebe, die so knallhart ist, dass man sich das Geschirr um die Ohren haut und traurig ist, wenn es nicht kaputt geht. Liebe, bei der man sich manchmal wünscht, dass der andere einem mit dem Messer die Gurgel aufschneidet, nur um diesem sagen zu können: „Wirst du es ohne mich schaffen?“ Liebe ist eine Obsession. Die „Rote Müllerin“ und Müller haben sie auf ihre skurrile Weise gelebt, Rothe trägt die Obsession erneut auf wie eine falsche Perücke. Und genau aus all diesen Gründen ist die Melange nur perfekt mit einer anderen Zutat: Trash.

Ein guter Abgang ist das halbe Leben

Was als kurzweiliger Unterhaltungsroman daherkommt, hat es wirklich in sich. Ein Potpourri erfrischend ätzender und ohne Identifikationspotenzial ausgestatteter Figuren macht diesen Roman zu einer äußerst spannenden und großartigen Lektüre. Buschheuers Ensemble packt uns bei den Hammelbeinen unserer Wunschvorstellungen und führt sie uns im Stil des immer reißerischen, aber deswegen nicht weniger funktionierenden Sensationsjournalismus vor Augen. So ist das eben, wenn man versucht Hyänen zu küssen.

Else Buschheuer: Zungenküsse mit Hyänen
Aufbau, 352 Seiten
Preis: 19,99 Euro
ISBN: 978-3-351-03536-5

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