Knarre, Käfer, Kapitalverbrechen

Claudia Kühn - Banklady   Cover: KiWiSteckt „das Böse“ in jedem von uns? Könnte auch ich von heute auf morgen zum Verbrecher werden? Kann man sich das Glück einfach so nehmen? Diese Fragen stellt sich der Leser von Claudia Kühns neuem Roman Banklady. Die Antworten, die das Buch liefert, regen zum Nachdenken an – insbesondere weil es die „Banklady“ tatsächlich gegeben hat.

von JAN HENRIC BERING

Gisela Werlers Leben bietet nicht viel Aufregendes: Mit 30 Jahren lebt sie noch bei ihren Eltern, hilft, den kriegsversehrten Vater zu pflegen, kümmert sich um ihre sprachbehinderte Nichte und schuftet in der Tapetenfabrik. Während viele Menschen im Deutschland der Sechzigerjahre gerade dabei sind, ihre Urlaubsträume mit Hilfe des Wirtschaftswunders zu verwirklichen, bleibt Gisela bloß übrig, sich nach Capri zu sehnen, das sie nur von der bunten Fototapete kennt. Und – Ironie des Schicksals – sie muss diese auch noch tagtäglich in der Hamburger Fabrik in Stücke schneiden.

Als dann aber der Kriminelle Peter im gestohlenen VW-Käfer in ihr Leben tritt, ändert sich schlagartig alles. Sie verliebt sich Hals über Kopf in ihn, weswegen es ihm nicht schwerfällt, sie zu einem ersten gemeinsamen Bankraub zu überreden. Von diesem Moment an bündelt sich Giselas ganzes Wünschen, Hoffen, Verlangen und Träumen nur noch in seiner Person. Und er scheint ihr mit dem erbeuteten Geld so viel davon erfüllen zu können.

Gisela kauft zum ersten Mal in ihrem Leben guten Wein, kleidet sich zum ersten Mal damenhaft – und hat mit Peter ihr erstes Mal.

Perücke, Schminke, Brille… Ein Überfall nach dem anderen. Es wird ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Giselas nur anfangs und nur ansatzweise vorhandenes schlechtes Gewissen wird fast völlig von ihren Gefühlen für Peter verdrängt. Und auch als Leser ist man geneigt, nicht nur das Kopfschütteln über Giselas Naivität und blinde Liebe zu unterdrücken, sondern auch auszublenden, dass es sich bei den Taten der beiden um schwere Verbrechen handelt. „Das Böse“ in Gestalt des typischen Verbrechers, wie es in weit verbreiteten klischeemäßigen Vorstellungen existieren mag, passt eben nicht auf die hübsche, zurückhaltende Gisela. So entwickelt man sich im Laufe des Romans doch zum „Daumendrücker“ für das Gangsterpärchen. Daran ändert auch nichts, dass Kühn den Gegenspieler der beiden, Kommissar Fischer, mit ebenso viel Identifikationspotenzial ausstattet wie die beiden Ganoven.

Fakt und Fiktion

Claudia Kühns Banklady steht in einer langen Tradition von Romanen, die echte Verbrechen fiktionalisieren. So reizvoll der reale Hintergrund der erzählten Geschichte für den Leser ist, so schwierig ist der Umgang mit dem Stoff für den Autor. Hier dürfte es für die Autorin eine besondere Herausforderung dargestellt haben, dass zumindest ein Teil der Leserschaft aus Zeitgenossen der ersten Bankräuberin Deutschlands besteht und die Ereignisse zur damaligen Zeit in den Medien verfolgt hat. Auch die Tatsache, dass es mittlerweile mehrere Verfilmungen des Stoffs gibt (Banklady basiert auf einem Drehbuch zu einem weiteren, 2014 in die Kinos kommenden Film), macht es schwierig, die Geschichte noch spannend zu erzählen. Claudia Kühn gelingt das jedoch hervorragend, indem sie das – vielen Lesern sicherlich bekannte – Ende offensiv an den Anfang des Romans stellt und somit den Weg zum Ziel macht.

Im dokumentarischen Nachspann erhält der Leser dann eine Reihe von Fakten zur historischen Gisela Werler und erfährt, was nach dem im Roman beschriebenen Zeitabschnitt passierte. In der Romanhandlung verschwimmen Fakt und Fiktion, spielend gelingt es Kühn die Grenzen zu verwischen und eine spannende Erzählung zu kreieren. Die an manchen Stellen etwas überbetonten Hinweise auf die Sechzigerjahre („der braune Schein mit dem Lübecker Holstentor auf dem hellgrünen Resopaltisch“) sind daher schnell verziehen.

Unterhaltsamer Genremix

Je nach Gemütslage kann man Banklady einfach zur Unterhaltung durchlesen oder sich auf die mal mehr, mal weniger deutlich aufgeworfenen, tiefer gehenden Fragen einlassen und neben den eingangs erwähnten Themen „Glückssuche“ und „das Böse“ auch über „die Liebe“, „Familie“ und „Freiheit“ sinnieren.

Darüber hinaus wird ein Krimi-Fan in Banklady eine klassische Kriminalgeschichte finden, ein Romantiker eine dramatische Liebesgeschichte und ein Historiker Zeitgeschichte. Alle diese Elemente stehen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander, sodass keine Langeweile aufkommt und der Roman wirklich für jeden Geschmack empfehlenswert ist.

Claudia Kühn: Banklady
Kiepenheuer & Witsch, 243 Seiten
Preis: 8,99 Euro
ISBN: 978-3-462-04564-2

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