„Hier sind alle viel zu nett zueinander!“

Martin Walser - Die Inszenierung   Cover: RowohltWalser inszeniert ein Drama um ein Drama: Ein altväterlicher Antiheld plant in Die Inszenierung mit Tschechows Möwe den letzten großen Auftritt. Vorhang auf für einen prätentiösen Klischeereigen.

von KARIN BÜRGENER

Der Regisseur, der hat es schwer: Seine Schauspieltruppe besteht aus Selbstdarstellern, er selbst liegt nach einem Schlaganfall im Krankenhaus und versucht, seinen polyamourösen Lebensstil der Lebensgefährtin und der Geliebten gegenüber zu rechtfertigen – schließlich ist er ein Künstler mit dem vermehrten Bedürfnis nach erotischer Inspiration und vielen Musenküssen. Wie gut, dass die Nachtschwester Ute-Marie ihr mildtätiges Herz und noch manches andere für ihn öffnet. Die Ärztin Gerda ist die verhältnismäßig feste Partnerin Augusts, die den ganz besonderen Privatpatienten mit persönlichem Frühstücksaufgebot und anderen Aufmerksamkeiten bedenkt.

Die Prosa der Verhältnisse erschüttert

August Baum ist also einer, der die Poesie des Herzens im Angesicht der Prosa der Verhältnisse nicht bewahren konnte. Stattdessen schwelgt und schwadroniert er, dass es für den Leser zum Überdruss wird, von vergangenen Inszenierungen, Liebschaften, der eigenen Courage und dem Unvermögen der anderen. Eine solche Großspurigkeit zieht Opfer nach sich, und so verlässt die gesamte Besetzung der Möwe geschlossen den strauchelnden Regisseur, der in einem Anfall von Umnachtung jedoch beschließt, Tschechows Drama als Zweimannstück aufzuführen, und zwar mit Nachtschwester Ute-Marie und sich selbst in den Hauptrollen. Denn schließlich hat auch er Schauspielerfahrung: „Den Regisseur muss man spielen. Wie eine andere Rolle auch. Glaubst du, ich sei ein Regisseur? Ich bin der, der am meisten darauf angewiesen ist, dass kein Mensch merkt, dass ich kein Regisseur bin.“

„All the world’s a stage“

Der Text vermittelt ein dekadentes Bild des Theaters, indem er es als einen Ort darstellt, der gefallsüchtigen Narzissten, Alkoholikern und lüsternen Greisen eine Kulisse bietet und von einer intellektuellen Minderheit frequentiert wird. Walser scheint willens zu sein, einen Ort der Illusionierung zu entzaubern und zu entblößen, alberne Skandale an die Stelle von Schauspielkunst zu rücken und darauf bedacht zu sein, jedes erdenkliche Theaterklischee zu unterfüttern. So sät der Star der Inszenierung erfolgreich Zwietracht unter den Kollegen, weil in der harmoniesüchtigen Gruppe alle viel zu nett zueinander sind, die Regieassistentin entpuppt sich als ehemalige Geliebte und die Nervenärztin Gerda akzeptiert sämtliche mit überirdischer Duldsamkeit alle Eskapaden ihres wildernden Lebensgefährten. Noch dazu erfüllt der Regisseur alle Bedingungen, die aus ihm einen dummen August machen.

Drama im Romangewand

Diese krude Geschichte ist in ein Gerüst gebettet, das als Drama erscheint, das sich als Roman verkleidet hat. Die Handlung vollzieht sich anhand von Dialogen und Regieanweisungen. Die so inszenierte Distanz erschwert es, sich in die Geschichte einzufühlen und das Lesen zu einem Vergnügen zu machen. So wirkt es umständlich und übertrieben arrangiert, wie sich z. B. in den offensichtlichen Referenzen auf Tschechows Möwe zeigt. Soll man es also nur lesen, weil es ein Buch von Martin Walser ist? Dies wäre für Marcel Reich-Ranicki wohl ein hinreichender Grund gewesen – es ist wirklich schade, dass er sich zum neuesten Werk seines liebsten Verrissopfers nicht mehr äußern kann. Für andere mündige Leser ist es eine schwere Entscheidung, nach den ersten Seiten weiterzulesen oder den schmalen Band im Regal verstauben zu lassen. Wenn man sich aufgrund des doch eher überschaubaren Umfangs zu ersterem verleitet lässt, findet man abseits der Handlung lesenswerte Zeilen wie diese: „Es ist nicht das Englisch, was mir Schwierigkeiten bereitet. Überhaupt das Sprechen. Das Noch-Sprechen. Ich habe das Gefühl, jede Sprache sei eine Fremdsprache. Und Schweigen? Das ist das Paradies, aus dem wir vertrieben sind.“

Wer sich von Wirrnissen, Promiskuität und etwas zu vielen Peinlichkeiten nicht abschrecken lässt, dem sind mit diesem Büchlein ein paar unterhaltsame Stunden sicher.

Martin Walser: Die Inszenierung
Rowohlt, 176 Seiten
Preis: 18,95 €
ISBN: 978-3-498-07384-8

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