Liebe und andere Parasiten (engl. The Heart Broke In), so lautet der Titel des neuen Romans des britischen Schriftstellers James Meek. Hinter dem Titel, der eher eine mittelmäßige amerikanische Komödie vermuten lässt, steckt in Wahrheit ein analytischer Gesellschaftsroman, der die Frage nach ethischem Handeln neu stellt, in einer modernen und hochtechnisierten Welt, in der vieles möglich und fast alles erlaubt scheint.
von LINA NIERMANN
Geistreich und mit viel Sinn für Situationskomik erzählt Meek die Geschichte von zwei Geschwistern, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Da ist auf der einen Seite Ritchie Shepherd, ein alternder Rocksänger und Familienvater, der sein Geld als Produzent der erfolgreichen TV-Talentshow „Teen Makeover“ verdient und eine Affäre zu einer 15-jährigen Teilnehmerin unterhält, von der seine Frau unter keinen Umständen erfahren soll. Auf der anderen Seite steht seine altruistische Schwester Bec, eine talentierte Mikrobiologin, die danach strebt mithilfe von Parasiten ein Heilmittel gegen Malaria zu entwickeln und bereit ist, dafür auch immense Risiken in Kauf zu nehmen.
Als Bec sich gegen die Heirat mit dem einflussreichen Zeitungsherausgeber Val Oatman entscheidet, sinnt dieser auf Rache und beginnt die beiden Geschwister gegeneinander auszuspielen.
Londoner Gesellschaftsporträt
Doch dies ist nur ein Erzählstrang des meist wenig schmeichelhaften gesellschaftlichen Porträts der Londoner Mittel- und Oberschicht, das der Roman zeichnet. Durch die Einführung gegensätzlicher Charaktere gelingt es Meek zwischenmenschliche Spannungen zu erzeugen und Weltsichten aufeinanderprallen zu lassen: Da gibt es zum Beispiel den vernunftorientierten Krebsforscher Harry Comrie, der sich plötzlich mit seinem eigenen Tod auseinandersetzen muss und der auf seinen Sohn Matthew, einen fundamentalen Christen, mit blankem Zynismus reagiert. Ungeschönt schildert James Meek das oft egozentrische und irrationale Verhalten seiner Protagonisten. Seine schockierend direkte Wortwahl lässt einen häufig mitten im Satz innehalten, während gleichzeitig die präzisen und detailreichen Beschreibungen unmittelbar deutliche Bilder im Kopf erzeugen.
Ethische Fragen
Liebe und andere Parasiten beschäftigt sich mit den Triebfedern und der Rechtfertigung menschlichen Handelns. Handeln wir aus Angst, Egoismus oder Liebe? Wo liegen heutzutage die moralischen Grenzen in einer Gesellschaft, die über maximale Freiheiten zu verfügen scheint? Lässt sich unser Verhalten überhaupt so eindeutig in die Kategorien Gut/Böse oder Richtig/Falsch einteilen? Das alles sind Fragen, die der Roman diskutiert, ohne dabei auf alle eine Antwort zu geben.
Es sind wahrlich nicht die einfachen Themen, die sich James Meek für sein neuestes Werk vorgenommen hat. Es geht um das große Ganze: Leben und Tod, Altern und Sterben, Vernunft und Glaube, Moral und Unmoral. Leider tritt dabei die wundervoll erzählte Geschichte allzu häufig in den Hintergrund und wird zur reinen Spielfläche ethisch-philosophischer Überlegungen. Die große Anzahl an Figuren und die ständigen Perspektivwechsel ermöglichen nur einen ausschnitthaften Einblick in deren Gefühls- und Gedankenwelt, weshalb eine wirkliche Nähe zu den Charakteren beim Lesen nicht so recht aufkommen will. Auch werden viele gesponnene Fäden der Erzählung im weiteren Verlauf nicht wieder aufgenommen und enden frustrierenderweise im Nichts. Der Roman liefert insgesamt ein wenig homogenes Bild: Er vereint Elemente des Gesellschaftsromans, des Familiendramas und des Thrillers in sich und enttäuscht konventionelle Leseerwartungen, weil er sich in keine dieser Kategorien zufriedenstellend einordnen lässt.
Wer als Leser aber bereit ist sich von gewohnten Mustern zu lösen, dem bietet Liebe und andere Parasiten eine gelungene Studie über das menschliche Verhalten in ihrer sprachlich ansprechendsten Form, von einem Autor, der weiß, wie man das Leben in seiner Absurdität und Grausamkeit einfängt.