Gestatten: Hemgesberg. Ich lade Sie hier und heute auf die literarische Blätterteigschnecke der vergangenen Woche ein – das vielschichtige Häppchen aus dem Literaturbetrieb. Setzen Sie sich, es ist genug geschehen in dieser Welt der WissensverwalterInnen und beleidigten Ehefrauen, damit wir ein wenig plaudern können: Albert Camus zum 100., Streitpunkt Bibliothek und Miss Bezos meckert.
von NADINE HEMGESBERG
Nimmt man sich die Blätterteigschnecke vor und zerfasert das gemeine Buffethäppchen in seine einzelnen Bestandteile, so gelangt man zu ungeahnten Erkenntnissen und deren Übertragbarkeit auf ein ganz anderes Thema. Unterzieht man den ersten Bestandteil dieses Kompositums – den Blätterteig – einer kleinen Merkmalsanalyse, so haben wir es hier mit einem dünn geschichteten Teig, der mit mehr oder weniger vielen Lufteinschlüssen einen lockeren, aber keinesfalls leichten, weil fettigen, Beißgenuss bietet, zu tun. Verkürzt könnte man bei dem zweiten Bestandteil – der Schnecke, oder auch Spirale – von einer symbolisierten Unendlichkeit ausgehen. Und da haben wir schon, nicht den Salat, aber das Häppchen: eine vielschichtige, schier unendliche Diskussion um die Zukunft der Bibliotheken. In ihrer Kolumne zur Technikwelt in der ZEIT schrieb Kathrin Passig über „Die Zukunft des Papierverleihs“, mokierte sich über eine Podiumsdiskussion auf der Frankfurter Buchmesse mit Frank Simon-Ritz, dem Vorsitzenden des Deutschen Bibliotheksverbands, die den immer gleichen Mechanismen folge und wenig Neues zur Frage nach der Zukunft der Bibliotheken beitrage, vor allem weil es das Internet doch besser könne. Dass es sich bei einigen Argumenten in dieser Diskussion („niedrigschwelliges Kulturangebot“, „Zufallsfunde vor den Buchrücken im Regal“), die von Seiten der BefürworterInnen von Bibliotheken in bewährter, also haptisch greifbarer und stationärer Form, um emotional, konservativ kulturhüterischen Mumpitz handelt, muss nicht näher erläutert werden. Dass aber auch „das Internet“ nicht der heilige Gral der Wissensspeicherung, Verfügbarkeit und Medienvermittlung ist, ist in der jetzt-Form unbestritten. Zu bedenken ist und bleibt, dass wie bei allen kulturellen Prozessen, so auch hier nicht das Schalterprinzip gilt – Bibliothek aus, Internet an – auch wenn sich diese Analogie anbieten mag. (Auf Libreas diskutiert Ben Kalden die Problematik ausführlich in einem Kommentar)
Miss Amazon
Brad Stone hat eine Biografie über Amazon Chef Jeff Bezos geschrieben, The Everything Store: Jeff Bezos and the Age of Amazon, und Miss MacKenzie Bezos nimmt zu diesem Buch Stellung: natürlich auf Amazon mit einer 1-Stern-Bewertung. Man könnte sagen, Brad Stone habe an der ein oder anderen Stelle schlecht recherchiert, man könnte sich darüber amüsieren, dass Miss Bezos ihren ins falsche Licht gerückten Mann gerade mit einer Bewertung auf Amazon verteidigen muss, man könnte aber auch vereinfacht sagen, hier treffen zwei Narrationen aufeinander, die sich sicherlich am wenigsten darum bemühen, die Wirklichkeit abzubilden. (Zusammengefasst bei der SZ)
Camus zum 100.
Am 7. November wäre der französische Schriftsteller und Philosoph Albert Camus 100 Jahre alt geworden. Dem 1960 bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Nobelpreisträger machte das komplette deutsche Feuilleton sein Aufwartung: Camus-Biografin Iris Radisch in der ZEIT, Nackt in der Welt (taz), Die zärtliche Gleichgültigkeit der Welt (Frankfurter Rundschau), Mirko Bonné mit „Sprühen des freudigen und des zerrissenen Lebens“ (WELT), Der Visionär (SZ) und Der Autor verfluchter Bücher (FAZ).
Vogelfreund Franzen nimmt Preis entgegen
Der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen, der mit seinen Korrekturen auch in Deutschland großen Erfolg hatte, wurde mit dem WELT-Literaturpreis (zu Ehren von Willy Haas) ausgezeichnet und schildert in seiner Dankesrede sein Verhältnis zu Deutschland und der deutschen Literatur. Das ein oder andere Anekdötchen darf nicht fehlen und Jonathan Franzen bricht eine Lanze für den deutschen Humor am Beispiel von Thomas Manns Zauberberg: „Denken Sie nur an den Moment im ‚Zauberberg‘, als Hans Castorp gegenüber dem Sanatoriumsarzt über Clawdia Chauchat schwärmt, und der Doktor ihm mit einer Injektionsnadel in den Hintern sticht. ‚Der Zauberberg‘ führt ein geheimes Leben im Untergrund, als komischer Roman.“
Und in der nächsten Woche: Prost Prousts Recherche – 100 Jahre Suche nach der verlorenen Zeit. Häppchen alle, auf Wiederlesen.
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