Der Trend „Poetry Slam“ hat in den letzten Jahren neue Künstler hervorgebracht, die in dem Konzept der Slams ein Medium gefunden haben, ihr Talent für knappe Texte jeglicher Art zu zeigen. Lucas Fassnacht ist einer von ihnen. Nach einem abendfüllenden Programm und einer Textsammlung, die als Buch und CD veröffentlicht wurde, erscheint nun sein erster Roman Es geht immer nur um Sex.
von JAN FREDERIK BOSSEK
Der Werbefotograf Marius ist Ende dreißig, er hasst seinen Job und kann als Misanthrop bezeichnet werden. Außer Bene, seinem besten Freund, gibt es keinen Menschen, dem er traut oder den er liebt. Zumindest behauptet er das. Er macht dennoch Bekanntschaften, welche ihn in kuriose Situationen bringen. Inhaltlich gibt sich der Text simpel und ohne roten Faden, der sich durch das Buch zieht. Eher handelt es sich um den Versuch eines Porträts einer Midlife-Crisis, das jedoch eine Entwicklung oder einen aufschlussreichen Erkenntnisprozess vermissen lässt. Und was als Geschichte inhaltsarm scheint, wird von der Machart des Textes leider nicht wettgemacht.
Verslamt
Es geht immer nur um Sex kann und will den Fakt, dass sein Autor Poetry Slammer ist, nicht verbergen. Das ist schade: Ein Text für einen Poetry Slam-Auftritt ist darauf zugeschnitten, pointiert und knapp Inhalte zu vermitteln, die einen bestenfalls zum Lachen bringen oder zu weiterem Nachdenken anregen. Auf Romanlänge von 241 Seiten funktioniert dieses Prinzip in diesem Fall nicht. Der Text wird zu einer Sammlung von Pointen oder Aphorismen, ohne dass diese weiter ausgeführt werden und einen glaubwürdigen Bezug zur Situation des Protagonisten herstellen. Dazu kommt, dass Themen bemüht werden, die schon längst komplexer in anderen Texten angesprochen wurden. So erfährt der Leser durch die Wahrnehmung des Protagonisten in indirekter Rede, was seine Freundin zum Besten gibt: „Im Grunde seien die Männer die Opfer, sagte sie. Gefangen in einer Rolle der Macht, die auszufüllen ihnen kaum einmal gelinge. Gerade zu unserer Zeit, in der diese Rolle selbst alle Strahlkraft verloren habe. Jede männliche Geste der Autorität gerate zur Posse.“ Fight Club, anno 1996, anyone?!
Ich sehe was, was du schon siehst
Das große Problem dieses Debütromans ist seine Offensichtlichkeit und Vorhersehbarkeit. Geheimnisse und Konfliktpotenziale kann man während des Lesens auf einem imaginären Notizzettel festhalten und direkt abhaken, so zielgerichtet und schnell werden sie aufgelöst. Aus guten Ideen wird wenig herausgeholt: Der Roman enthält zum Beispiel Referenzen an Musik, welche aber selten in den Kontext der Story eingebunden werden, und wenn, dann ebenfalls unkreativ und zusammenhanglos.
In einer Szene legt sich der Protagonist zum Entspannen in die Badewanne und legt Surfer Rosa von den Pixies auf. Welches Lied der Pixies passt am besten zu einer Szene, in der ein Enddreißiger in seiner Midlife-Crisis zu entspannen versucht? Ja, richtig geraten: Where is My Mind? (Fight Club lässt übrigens grüßen…) Noch enttäuschender ist es, dass diese offensichtliche Wahl kaum begründet wird und kaum weitere Interpretationen zulässt: „,Where is My Mind?ʻ, fragte Black Francis. Jedes Mal, wenn ich ihn das singen höre, wundere ich mich darüber, dass er überhaupt nach ihm sucht. Er könnte sich auch einfach darüber freuen, ihn losgeworden zu sein. Doch ich musste es ihm nachsehen, die Musik war einfach zu gut.“
Der Phrasentod
Ein anderes Beispiel: Marius lernt flüchtig die nicht einzuordnende und ihn verwirrende Sophie kennen, die ihm im Gedächtnis bleibt. Er geht darauf mit Bekannten ins Theater und sieht ebendiese Frau auf der Bühne. In welchem Stück? Natürlich: als Julia in Romeo & Julia. Dazu kommen noch haarsträubend einfältige Erkenntnisse des Protagonisten während und nach dem Theaterbesuch: „Langsam wurde mir klar, was mich so sehr in seinen Bann gezogen hatte: Das Theater bildet nicht die Wirklichkeit ab, sondern die Wirklichkeit das Theater.“ Oh nein, Krankenschwester, bitte kommen! Dem Roman geht es nicht gut! Symptom: chronische Phrasenhaftigkeit – „Das Leben ist die chaotische Probe für ein Theaterstück.“ Hilfe, wir verlieren den Patienten! – „Dann plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen – Julia war die Maske, fest und unbeteiligt und schön, hinter der Sophie die Narben ihrer Welt verbarg.“ Verdammt, der Patient ist an Phrasenüberdosis verstorben.
Leider erfährt man außer derartig langweiligen Einsichten keine anregenderen Gedankengänge des Protagonisten, geschweige denn von den anderen Charakteren. Somit potenziert sich das Problem der Vorhersehbarkeit durch die misslungene und oberflächliche Charakterzeichnung. Denn: Wenn der Leser so wenig (Interessantes) von den Figuren weiß, ist es ihm letztendlich auch egal, was mit ihnen passiert, wenn Geheimnisse aufgelöst werden oder Konflikte entstehen. Es mag sein, dass es die Absicht des Autors war, einen Menschen zu porträtieren, der eben nichts anderes kennt als altbackene philosophische Weisheiten und offensichtliche Gedanken zu offensichtlichen Dingen. Aber warum dann dieses Buch lesen, wenn es nichts anderes bietet? Dem Roman fehlt eine Geschichte mit ungeahnten Wendungen oder ein narratives Mittel, die den Leser packen und die ihn über andere Schwächen hinwegsehen lassen.
Trockengebiete
Wer, naiv dem Titel folgend, vielleicht einen kurzweiligen Roman mit schlüpfrigen Szenen erwartet, der sei zudem gewarnt. Die Länge der wenigen Sexszenen ist kurz und das Vokabular derart brav, dass man meinen könnte, die Lektüre eines bald schon sechs Jahre alten Feuchtgebiete müsse dem Autor die Schamesröte ins Gesicht treiben.
Fassnachts Debütroman verfügt leider über keine Ansätze, die auf eine Besserung im nächsten Roman hoffen lassen. Als abschließendes Urteil gilt deshalb, dass der Autor bei dem Verfassen von Kurz- bzw. Slam-Texten bisher besser aufgehoben ist. Oder, um mit dem Phrasendreschen des Romans gleichzuziehen: Schuster, bleib bei deinen Leisten.