Eine hübsche Agentin und ein Schriftsteller – braucht es noch mehr für einen ambitionierten Spionageroman? Es ist 1972 und irgendwo zwischen Kaltem Krieg und IRA-Terror ist den Geheimdiensten die Unschuld verloren gegangen. Protagonistin Serena versinkt zwischen belanglosen Akten anstatt zu spionieren und muss feststellen, dass das Geheimdienstleben, zumal für eine Frau, wenig Glamour bereithält. Bis sie, die „Leseratte“, den Auftrag erhält, Tom Haley zu rekrutieren. Serenas Glück scheint perfekt, doch ein Schriftsteller ist keine so leichte Beute, wie sie glaubt. Honig entwickelt ein apartes Verwirrspiel voller Doppelagenten, die ganz ohne Feinde auskommen.
von SOLVEJG NITZKE
Ian McEwans Romane werden praktisch mit Bestsellergarantie geschrieben. Unterhaltsam genug, um nicht in den Kultursparten zu verschwinden, und doch mit dem Anspruch gemacht (und vermarktet) ‚Literatur‘ zu sein, bieten sie für jeden etwas. Diese Mischung präsentiert auch McEwans jüngster Roman Honig sehr erfolgreich. Allerdings ist dies nicht nur der nicht zu Unrecht erfolgreichen Marke „McEwan“ zuzuschreiben: Honig, nach Unschuldige der zweite Ausflug des Schriftstellers ins Spionagegenre, gelingt es, vor dem Hintergrund der Verwicklungen von Politik und Kultur eine Geschichte zu erzählen, die anstelle von weltpolitischen Geheimnissen, vom Erzählen und vor allem vom Lesen selbst handelt.
„Krieg der Ideen“
Der Kalte Krieg, Hochzeit der Geheimdienste und mit ihnen der Spionageromane, wurde nicht nur durch Wettrüsten, Stellvertreterkriege und Spionageaktionen geführt, sondern war vor allem ein „Krieg der Ideen“. Während dieser auf der Seite der UdSSR und ihrer Satelliten weitgehend offen geführt wurde, indem Kunst und Kultur staatlich gefördert wurden (man denke nur an das Bolschoi-Theater oder die Sportlerförderung der DDR), herrschten im „Westen“ schwierige Bedingungen für solche Förderungen. Zusammenarbeit mit der CIA oder irgendeinem Geheimdienst – das zeigte der Skandal um das CIA-finanzierte britische Kulturmagazin The Encounter – galt als schändlich. Lag es daran, dass es in den 1960er Jahren ‚schick‘ wurde, als Intellektueller mit dem Kommunismus zu liebäugeln? Oder war es eher das ‚Geheime‘ der Förderung, das die Ablehnung hervorrief? Wie gut kann Kunst noch sein, wenn sie von vornherein systemkonform oder gar auf Bestellung geschrieben wird? Gerät dann nicht das Verhältnis von Kunst und Politik aus dem Gleichgewicht, ist gar die Freiheit der Kunst in Gefahr? Bleibt den Geheimdiensten bei all diesen Vorbehalten etwas anderes übrig, als zu tun, worin sie am besten sind, also ‚geheim‘ zu operieren oder schaden sie ihrem Ziel, wenn sie nicht offen fördern, was doch förderungswürdig ist?
Honig spielt im Zentrum dieser Fragestellungen und nimmt damit eine interessante Perspektive ein, die – das mag Fans von Spionage à la James Bond zunächst enttäuschen – zwar auf Kosten der ‚Action‘ geht, jedoch so grundsätzlich nach Sinn und Unsinn des Geheimen fragt, dass nicht nur die absurde Selbstbezogenheit der Dienste in den Fokus gerät (wie sie das auch bei Carré tut), sondern auch ihre Rolle in der Entstehung von Literatur.
Bovary, Borges und Bond
Serena, Anfang zwanzig und eher zufällig an einen Job beim MI5 gekommen, sieht von all dem zunächst wenig. Sie hat den richtigen Hintergrund für den Job (Bischofstochter, Mathematikstudium in Cambridge) und ist gerade mittelmäßig genug, um trotz oder wegen ihres Geschlechts zur idealen Kandidatin für eine Stelle beim Inlandsgeheimdienst zu werden. Schließlich ist auch in dieser Behörde Anfang der 1970er langsam angekommen, dass man schon aus Imagegründen Frauen wird einstellen müssen. Üblicherweise finden diese denn auch recht früh in ihren Archiv- und Sekretärinnenstellen einen Ehemann und verlangen nur selten nach Führungspositionen. Die Ich-Erzählerin stellt dieses System auch nur bedingt in Frage, trauert alten Liebhabern hinterher und liest. Sie liest viel und sie liest schnell, aber auch hier bleibt sie ganz Frau, beinahe Mädchen:
„Ich lechzte nach naivem Realismus. […] Zum Glück ging es im Großteil der englischen Literatur jener Zeit formal eher anspruchslos darum, die Gesellschaft widerzuspiegeln. Kalt ließen mich jene Autoren, die in Süd- und Nordamerika grassierten und sich selbst unter das Personal mischten, fest entschlossen, die armen Leser daran zu erinnern, dass alle Figuren und sogar sie selbst reine Erfindung waren und dass es einen Unterschied zwischen Fiktion und dem Leben gab. Oder im Gegenteil klarzustellen, dass das Leben ohnehin eine Fiktion war.“
Nur ist sie, soviel sei verraten, selbst Figur in einem ebensolchen Roman. Während sie sich, ganz wie einst Emma Bovary ihr Leben aus dem erträumt, was sie am liebsten liest (Romane sollten für sie idealerweise mit einem „Heirate mich“ enden), erhält sie ihren ersten echten Auftrag – den Schriftsteller Tom Haley auf seine Eignung für die vom MI5 initiierte „Operation Honig“ hin zu überprüfen, der noch ein Romanschriftsteller fehlt. Wie ihre Romanheldinnen wird sie dabei seine Geliebte, entdeckt echte Gefühle für ihre „Zielperson“ und verstrickt sich in einem Netz aus Lügen und Intrigen. Doch, sie hat es schließlich mit einem Schriftsteller zu tun, ist sie nicht die einzige, die an diesem Netz mit spinnt.
Auch wenn streckenweise ein ‚naiver Realismus’ überwiegt, der für Leserinnen und Leser, denen Serenas Literaturgeschmack nicht ganz zusagt, zeitweilig etwas anstrengend ist, zeichnet dieser gelungene Roman ein unterhaltsames Bild zwischen Bovary, Bond und Borges und zeigt, wie viel Geheimdienstarbeit, Romane schreiben und selbige zu lesen miteinander gemein haben. All dies in einem in jedem Sinne sicheren Abstand vom Kalten Krieg.
Ich habe das Buch am Wochenende ausgelesen und es – trotz manchen zähen Passagen zwischendurch – als gelungen empfunden. Als begeisterte Leserin hat mich vor allen Dingen das Interesse an Büchern von Serena angesprochen.
Ich habe das Buch schon auf dem Stapel liegen und bin nun noch gespannter, es zu beginnen und über die Verknüpfung von Geheimdienst und Literatur und Kaltem Krieg zu lesen.
Viele Grüße, Claudia