Vor wenigen Monaten wurden die inneren Kinder der Bochumer Comic-Fans um einen Spielplatz reicher: mit dem Little Nemo eröffnete ein Comicladen, der mehr sein will als bloße Verkaufsfläche für Comics, Cartoons und Graphic Novels.
von YANNICK SIEVERS
Es war einmal ein Junge am Anfang des 20. Jahrhunderts, der Woche für Woche Traumabenteuer erlebte, die ihn aus der Realität und Erwachsenenwelt seiner Zeit entrückten und die fantastischsten Orte bereisen und magische Kreaturen treffen ließen. Winsor McCays Little Nemo, zwischen 1905 und 1926 in den Sonntagsausgaben amerikanischer Tageszeitungen erschienen, ist ein Klassiker des Comicstrips und bis heute eine der einflussreichsten Schöpfungen der Comicgeschichte. McCays bahnbrechend moderner grafischer Stil und seine psychologisch fundierte Erzählweise erhoben Little Nemo über den bloßen „einseitigen“ Comicstrip für Kinder am Sonntag und erreichten, dass sich erwachsene Zeitungsleser jede Woche erneut mit den Wünschen und Ängsten ihres inneren Kindes konfrontiert sahen. Aber vor allen Dingen bedeutete Little Nemo eines: Überraschungen und der Spaß an unendlichen Möglichkeiten.
Im Juni dieses Jahres eröffnete am Bochumer Südring ein Comicladen, der sich eben jenen obigen Leitgedanken als Motto auf die Fahnen geschrieben hat – nämlich mehr zu bieten und überraschend anders zu sein als der „gewöhnliche“ Comicladen. Die Ladentaufe nach Winsor McCays kindlichem Traumabenteurer war da nur konsequent. Filialleiter Markus Pfeffer erklärt: „Mit dem Little Nemo wollen wir eine Alternative bieten zu den schwer zugänglichen Insiderläden, die Comicshops oft sind. Mit einer offenen, einladenden Atmosphäre wenden wir uns an ein breiteres Publikum, ohne die alteingesessenen Comic-Fans zu ignorieren.“ Das Angebot im Little Nemo ist tatsächlich sehr breit gefächert und gehe, so Markus, über „simple Standards und den Mainstream“ hinaus. So finden nicht nur Neuankömmlinge in der Welt der Comics und Graphic Novels einen guten Einstieg, sondern auch alte Hasen immer noch Neues und Unbekanntes zwischen Bildern und Sprechblasen.
Etwas von Allem
McCays Little Nemo tat sich noch lange nach der Absetzung der wöchentlichen Sonntagsseiten im Jahre 1926 durch multimediale Verarbeitungen des Stoffs hervor. So erschien 1989 ein japanisch-amerikanischer Animationsfilm, an dem Szene-Größen wie Ray Bradbury und Moebius mitarbeiteten und 1990 ein dazugehöriges Videospiel für die erste Nintendo-Konsole, wie sich Markus erinnern kann. Seitdem kam noch einiges mehr an Merchandise – und sogar ein Song von Tom Petty – hinzu. Die Tatsache, dass die andauernde Nemo-Faszination des Kindlich-Erwachsenen Ausdruck in einer solchen Vielfalt von Medien erfahren hat, hat Filialleiter Markus als Konzept auf seinen Laden übertragen. So bietet das Bochumer Nemo eine ständig wechselnde Sortimentlandschaft zwischen den verschiedenen sich überschneidenden Interessen seiner Kunden – neben den obligatorischen „bunten Heften“ findet man hier eine gut sortierte Auswahl an Sammler-Figuren und anderem Comic-Merchandise, DVDs und diversem Vinyl. Hinzu kommt ausgewählte Roman- und Jugendliteratur.
Mehr als ein Comicladen
Ein andere tragende Säule des Nemo sind seine Events. So wie sich auch Winsor McCays kindlicher Held regelmäßig in neue unerforschte Welten geschleudert sah, veranstaltet Markus Pfeffer in seinem Laden am Südring 37 ca. einmal im Monat Veranstaltungen für unterschiedliche Zielgruppen. Viele davon seien „comicladen-untypische Events“, so Pfeffer. Dabei kamen Interessierte bisher unter anderem in den Genuss einer amüsanten semi-autobiographischen Lesung des Hagener Autors Tobias Wimbauer, eines liebevoll geplanten Fan-Treffs für Anhänger der Videospielreihe Legend of Zelda und eines gut besuchten Manga-Workshops. Dieses Jahr stehen noch eine Weihnachtsbäckerei am verkaufsoffenen Sonntag (01. Dezember 2013) und eine Weihnachtsfeier (14. Dezember 2013) in Kooperation mit dem legendären Comicmagazin U-Comix an. 2014 soll die monatliche Event-Tradition fortgeführt werden. Wichtig ist dem Filialleiter dabei Lokalkolorit und Stadtteilkooperation im Besonderen – so war das Nemo Ende Oktober auch auf dem multikulturellen Rottstraße-Event „Rottlicht“ anzutreffen. Fallbeispiel: Während des Interviews mit Markus für diesen Artikel schaute spontan Martin Zöpel, Inhaber der Kultkneipe R15, vorbei, um zukünftige gemeinsame Projekte zu besprechen. Man darf also gespannt sein.
„Comics sind einfach ein prima Geschenk“, so Pfeffer, „auch oder gerade für bisherige Nicht-Comic-Leser“. So spielt das Nemo in Erwartung des diesjährigen Weihnachtsgeschäfts gezielt seine Stärken aus: „Wir bieten hervorragende Beratung vor Ort und haben für jeden Geschmack etwas.“ Die große, übersichtliche Ladenfläche bietet eine breite Auswahl von franko-belgischen Klassikern (und Geheimtipps) über die seit jeher beliebten Bewohner Entenhausens bis hin zu anspruchsvolleren Literaturcomics und sogar ausgewählten Werken der Comicforschung. Eine von Markus’ aktuellen Empfehlungen ist der Sammelband The Chronicle of the Clueless Age von Furuya Usamaru und Otsuichi, während einer der offensichtlichen Hits des Weihnachtsgeschäfts sicherlich der neue Asterix-Band sein wird. So oder so steht Markus’ Motto fest: „Es gibt für jeden Menschen einen Comic da draußen – den zu finden ist unser Job.“
Jedes Abenteuer des kleinen Comic-Nemo endete unweigerlich mit seinem Erwachen – doch für gut 20 Jahre kehrte er stets zurück und erlebte neue Überraschungen im „Slumberland“ der Sonntagsseiten. Eine ähnliche Langlebigkeit ist dem Little Nemo im Interesse aller Bochumer Comic-Fans und derer, die es noch werden wollen, zu wünschen.
Das Little Nemo ist auch bei Facebook zu finden.