„Du sollst nicht vorlesen, du sollst deine Geschichte erzählen“, rät einer der Juroren einem Teilnehmer. Es geht um eine brutale Szene, eine erschütternde Szene, eine Szene, die danach verlangt, das Papier, auf dem sie geschrieben ist, hinter sich zu lassen und sich direkt im Gehörgang des Zuhörers einzunisten. Nicht der einzige Text, der von seinem Vorleser Unmögliches verlangt.
von LARA THEOBALT
Über den gesamten Tag ziehen sich die Leseproben für die öffentliche Lesung am Abend. Fast alle der Teilnehmer haben schon einmal vor Publikum gelesen, doch nicht jeder tut es gerne. Da sei eine zu große Distanz zwischen ihr und dem Text, erklärt eine Teilnehmerin, während einige andere sich schwer damit tun, ihre Gefühle beim Lesen zurückzuhalten. Es wird geschrien und geschwiegen, genüsslich gelesen und hier und da ein Satz verstottert. Noch ist das egal, doch bei einigen wächst die Nervosität mit dem Scheinwerferlicht. Und tatsächlich: Man erkennt nicht ein Gesicht im Publikum, wenn man am Lesepult steht. Darum könne man sich genauso gut vorstellen, nur für eine vertraute Person zu lesen – das mache es einfacher. Insgesamt ist es spannend, wie sehr die Vortragsweise die Stimmung, selbst den Sinn eines Textes oder zumindest einzelner Passagen verändert. Dies auszuprobieren und den eigenen Text mit der Stimme immer wieder umzuformen, ist eine deprimierende und spannende Aufgabe. Die Hilfe der Betreuer, aber vor allem die geduldigen und gespitzten Ohren der anderen Teilnehmer sind dabei unverzichtbar.
Ein besonderes Problem – eine Theaterszene, die in verteilten Rollen gelesen werden soll. Nach dem ersten Lesen befällt ihren Autor sichtlich die Verzweiflung. In seinem Kopf habe sich das Ganze so anders angehört und nun wisse er nicht, wie er uns und unsere Figur einander näherbringen soll. Ich lese die Kitty, eigentlich Bea, doch niemand nenne sie Bea. Kitty setzt sich in irgendeinem Bahnhofscafé zu irgendeinem Fremden und versucht ein Gespräch, das sich in Ironie verliert. Wir sitzen lange zusammen und stellen erstaunt fest, dass man das Wort „Berlin“ auf mindestens zehn verschiedene Arten lesen kann. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Text, den Vorstellungen seines Autors und den Spielarten, die sich erst beim Lesen ergeben, machen Freude und Angst, denn ich fürchte mich nun sehr viel mehr, mich in dem fremden Text zu verlesen als im eigenen.
Über der Bühne hängt das Logo der Berliner Festspiele – ein rotes Rechteck – als leuchtende Installation. Wozu?, fragen wir uns, als wir Teilnehmer in den vordersten beiden Reihen Platz genommen haben. Der Zuschauerraum der Seitenbühne füllt sich. Es sind viele ehemalige Teilnehmer des Treffens junger Autoren erschienen, um die diesjährigen Nominierungen anzuhören. Auch das Moderatorenpaar, Laura Naumann und Khesrau Behroz, sind „Ehemalige“. Sie führen mit teils tiefsinnigen, teils tief komischen Beiträgen durch das Programm. Man merkt ihrer Moderation an, dass sie sich intensiv mit unseren Beiträgen beschäftigt haben. Während ihre ganz eigene Sprache schon aus den Anmoderationen herauszuhören ist. Im Grußwort gibt Christina Tilmanns von den Berliner Festspielen zu verstehen, das rote Recheck könne als besonderer Rahmen gelesen werden. Besonders, vielleicht weil eine Lesung immer auch ein gegenseitiges Kennenlernen bedeutet und der Schritt eines Textes zwischen Autor und Publikum ein intensiver, interessanter, intimer Moment ist. Tilmanns spricht von den Erfahrungen früherer Teilnehmern, ihren Berichten, wie sehr besonders eine erste größere Lesung hilft, seine Texte zu mögen, den ewigen Selbstzweifel hinter sich zu lassen und sich sagen zu können: „diese Menschen wollen meinen Text hören und nicht den eines besseren Schriftstellers.“ Auch Frau Dr. Irina Ehrhardt aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung geht auf die vielen positiven Eindrücke der früheren Treffen junger Autoren ein. Sie ist sichtlich stolz darauf, wie dieser und andere Bundeswettbewerbe gefördert und so ein gewisses kulturelles Spektrum aufrecht erhalten werden kann. Soweit die üblichen Danksagungen und Lobgesänge. Dann hat sich die Politikerin auf einen ganz eigenen literarischen Versuch eingelassen und aus den Titeln der nominierten Texte versucht, Sinn zu stricken, in dem sie sich zuletzt jedoch recht charmant selbst zu verstricken droht.
Bedeutender jedoch, dass die Teilnehmer ihre roten Fäden beisammen und zumindest einigermaßen die Ruhe behalten, als sie endlich ihre Texte lesen. Es wird eine glatte Lesung mit viel Begeisterung, wenig Pathos, Prosa, Lyrik und Drama, einer Breite an Stilen, Themen und Charakteren, keinen (bösen) Überraschungen und – sagte ich das bereits? – überdurchschnittlich vielen Fischen. Die Lesung wird immer wieder von dem Pianisten Jonas Weinfurtner musikalisch durchbrochen. Nach gut drei Stunden haben alle zu viele Worte im Kopf und keinen Kopf mehr für die Worte. Es fällt schwer, zu sagen, welche der Texte die größte Verwirrung/Bewunderung/Ekstase/Abscheu/Gleichgültigkeit hervorgerufen haben. Wer sich eine eigene Meinung dazu bilden möchte, wird sich bis März gedulden und auf das Erscheinen der diesjährigen Anthologie warten müssen. Dazu begannen heute erste Lektoratsgespräche. Ebenso das Workshopprogramm. Was schon im Grußwort der Lesung betont wird: Die Lesung der Preisträger ist keine Abschluss-, viel eher eine „Anfangslesung“. Das TJA ist insgesamt ein besonderer (roter) Rahmen. Für uns bleibt noch viel zu schreiben.
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