Der letzte Tag schmeckt nach Abschied, egal, wie viel noch ansteht. Zwischen Workshopprogramm, Lektoratsgesprächen und einem fulminanten literarischen Finale sinnieren die Teilnehmer des TJA über das Leben in einem Theater, Schnittchen und den Beginn der Welt. Und dann entdecken sie, dass sie die ganze Zeit über in Berlin waren – dies aber nur am Rande.
von LARA THEOBALT
In die Kategorie „Arbeit, die der Leser nicht sieht“ fallen auch die Gespräche der Teilnehmer mit ihren Lektoren. Für die Anthologie, die in jedem Jahr die Preisträgertexte des TJA vereint, müssen unsere Beiträge überarbeitet werden, wozu wir sie zwischen dem Workshopprogramm mit jeweils einem Mitglied aus dem Juroren-Team genauestens besprechen. Dabei geht es nicht primär um Korrektur, sondern auch um konkrete Änderungen einzelner Passagen, Ausdrücke oder Handlungselemente. Kein Wunder also, dass einige der Autoren zunächst skeptisch sind. Auch für mich ist es erst einmal merkwürdig, fast drei Stunden in ungewohnter Tiefe über meine Texte zu sprechen. Meiner Lektorin ist nichts entgangen. So stolpern wir über einen Logikfehler, Zeichensetzung und ein wenig Kitsch, der – so ihr Urteil – nicht lebensbedrohlich sei, aber gerade der Lyrik hier und da ihre Stärke nehme. Ich bin dankbar für diese Hinweise, aber auch das allgemeine Gespräch über Möglichkeiten, die sich im Schreiben insbesondere nach dem TJA ergeben. Die Zusammenarbeit zwischen Autoren und der Jury wird noch bis zur Veröffentlichung fortgesetzt. Später sind wir überwiegend sehr zufrieden mit den neuen Perspektiven auf die eigenen Texte. Es fällt auf, dass nach den ersten Lektoratsgesprächen auch in der Gruppe Texte vermehrt herumgereicht und Meinungen dazu eingeholt werden. Die jungen Autoren zeigen sich kritikfähiger als ihr Klischee.
Warum Abschlussabende auch in Gruppen, in denen zu weiten Teilen Schwarz getragen wird, „bunter Abend“ genannt wird, bleibt missverständlich. Besser, wenn auch weniger schmissig, wäre wohl ein Prädikat wie „zusammengewürfelt“, „abwechslungsreich“ oder „überraschend“. Die Arbeit der Workshops wurde präsentiert, Teilnehmer und Ehemalige lasen ernst und auch weniger ernst gemeinte Texte. So präsentierte eine Gruppe selbstverfasste Pressestimmen zu der Preisträgerlesung, die mit Augenzwinkern auf die ein oder andere reale Kritik der letzten Jahre sehr negativ ausfiel. Neben einem Appell der feministischen Presse an die „Autorinnen und Autorinnen“ kam Marcel Reich-Ranicki posthum zu Wort. Das vernichtende Urteil über die Geschmacklosigkeit der Jugend und den Untergang der Kultur lässt sich fassen mit: „Wer hat uns verraten? – Junge Literaten.“ Daneben wagten sich zwei Teilnehmerinnen mit einem Best-of ihrer ersten lyrischen Gehversuche, also viel Pathos und wenig Gefühl für Reim, auf die Bühne. Ein anderer Teilnehmer überraschte mit einem Slam-Text, in dem er – in diesem Jahr sehr erfolgreich – die Großen der deutschen Literatur miteinander wetteifern, sich bloßstellen und recht amüsant dastehen lässt, um mit der einvernehmlichen Prämisse John Waters’ zu schließen: „If you go home with somebody, and they don’t have books, don’t fuck ’em!“ Das offizielle Programm des diesjährigen TJA endete überaus geistreich und witzig.
Später diskutierten wir noch lange über die Vorzüge, in einem Theater zu leben, zumindest den größten Teil der Zeit – eine Erfahrung, die wir alle nicht missen möchten. Zu diesem Urteil kommen wir nicht nur wegen des viertägigen, sehr attraktiven, Tausches: Gedichte gegen Schnittchen, sondern vor allem wegen der vielen ganz besonderen Momenten innerhalb der Gruppe, vor Publikum und hinter den Kulissen. Und als wir irgendwann in der Nacht auf dem Kudamm feststellen, dass wir uns tatsächlich in Berlin und nicht in irgendeinem sonderbaren Textuniversum befinden, beginnt wieder die Welt …
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