Gestatten: Hemgesberg. Ich lade Sie hier und heute auf ein gemeines Stück Gebäck, den Scherzkeks der vergangenen Woche ein – die knusprige und humoristische Knabberei aus dem Literaturbetrieb. Setzen Sie sich, es ist genug geschehen in dieser Welt der technischen Prothesen und bibliophilen Seelen, damit wir ein wenig plaudern können: Amazon möchte per Drohne liefern und J. D. Salingers unbekannte Kurzgeschichten werden geleakt.
von NADINE HEMGESBERG
Summ summ summ, Dröhnchen summ herum. Jedes Dröhnchen gibt ein Tönchen … ich könnte noch ewig so weitermachen und jeder Satz wäre eine audiovisuelle Qual im Takt des 100 bpm Kopfschütteln, aus dem ich gar nicht mehr rauskomme. Aber lassen wir das, ich Scherzkeks, wer will denn immer gleich so technikfeindlich sein.
Amazon – und nein, nicht nur die, denn auch die Deutsche Post kann bereits per Drohne liefern – möchte in fünf Jahren soweit sein, wird Jeff Bezos in diesem Zusammenhang zitiert. Ein Hoch auf die technische Neuerung, auf dass die Drohne nicht nur schnell und pünktlich ist, sondern gleich mit Google kooperiert und gestochen scharfe Bilder macht, wie der Hund in den Vorgarten des Nachbarn scheißt, der Herr Kommunalpolitiker im siebten Stock an die Glasfassade gepresst nicht seine Frau beglückt und so weiter und so weiter. Eins, zwei: Spy.
Der satirische Postillon griff prompt die Meldung der neuen Liefermöglichkeit auf und sprach von einem „Paketwerfer“, der von den Verteilerzentren aus die KundInnen mit Wurfgeschossen beliefern könne. Das alles erinnerte mich doch stark an die neulich gehörte Geschichte von Luftballons und Raketengeschossen aus den Zeiten des Kalten Krieges, die damals mit subversiver Literatur befüllt von der deutschen Bundeswehr über die Mauer und so in die DDR hineingeschmuggelt worden sein sollen. Eine hanebüchene Geschichte, die allerdings 1969 zu einem – wir würden es wohl heute als Shitstorm bezeichnen – ordentlichen Feuilletongerassel führte und als „Rowohlt-Affäre“ in die Geschichte einging. Wer mehr von dieser wunderlichen Aktion und den antistalinistischen Schriften, die ohne Impressum und im Mao-Bibel-Format gedruckt worden sein sollen, erfahren möchte, der lese den Artikel im Spiegel oder den Artikel von Dieter E. Zimmer in der Zeit, der am 26. September 1969 mit dem Titel „Frißt die Revolution ihre Verleger? – Unter- und Hintergründe einer Affäre im Hause Rowohlt“ erschienen ist. Oder, wer eine aktuelle Einordnung der Geschehnisse hören und sehen möchte, dem sei der Vortrag „Die Mauer und die Bücher“ von Prof. Nikolaus Wegmann ans Herz gelegt.
Literarisches Leben und die Leaks
Leaks, Leaks, Leaks: Überall wo man hinsieht. Alles und jeder wird geleakt, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht, obwohl der Stempel „top secret“ auf den Dokumenten prangt, oder wie im Falle der Kurzgeschichten von J.D. Salinger, seiner Verfügung zufolge, erst 2060 veröffentlicht werden soll. Wikileaks wird verfilmt und kommt in die Kinos – und nun also auch ein großer Leak im Literaturbetrieb. Drei bisher unbekannte Kurzgeschichten von Salinger werden im Internet für jeden frei verfügbar gemacht und sind nicht mehr nur in der Princeton Bibliothek einsehbar. Clemens J. Setz setzt sich in der Welt mit den drei Kurzgeschichten auseinander und stellt sie in Bezug zu Salingers Fänger im Roggen. Und verfällt in eine eher ungewohnte Sentimentalität: „Aber nun ist, durch einen glücklichen Zufall, aus der großen Zeitkapsel, die ihren Schatz an leuchtender Prosa an uns, den Unwürdigen, vorbei in das ferne Jahr 2060 tragen soll, ein Signal gedrungen: drei kleine Tropfen aus dem dichten Eisblock der eingefrorenen Werke.“
Und in der nächsten Woche: Atlantis geleakt. Unter-Wasser-Drohnen senden Baupläne zum Wiederaufbau. Häppchen alle, auf Wiederlesen.