Visuelle Poesie und ein kleines, dickes Männchen

Nicolas Mahler - Gedichte   Cover: SuhrkampMit der Geburt beginnt es. Mit der Hölle endet es. Der österreichische Zeichner und Humorist Nicolas Mahler erzählt durch visuelle Gedichte von Schicksal, Abenteuer und einem kleinen, dicken Männchen. Es sind grafische Gedichte der Nachdenklichkeit, teils mit Humor. Im September 2013 erschienen Mahlers Gedichte mit einem Nachwort von Raimund Fellinger in der Insel-Bücherei.

von CHRISTOPH BÜRGENER

Geburt – ein kleines, dickes Männchen liegt am Boden. Über ihm eine Röhre, eine, die ihn ausgespuckt haben muss. So beginnt Mahlers erste Seite seiner visuellen Gedichte. Das Wort Geburt und die Zeichnung einer Röhre über einem am Boden liegenden Männchen reichen, um möglicherweise Sinn zu stiften. Und so geht es weiter: Röhre, Schale, Kreis, Mauern und immer wieder jenes Männchen erzählen unter anderem von Zeit und Raum, von Blödheit und Neugierde, von Tod und Auferstehung. Schwer wiegen diese Wortpaare und doch sind sie jeweils von Mahler mit einem Zeichenpaar klar und leicht untermalt. Insgesamt sind es 40 Begriffe zu 20 Wort- und 20 grafischen Paaren, die sich im Gedichtband von Mahler versammeln.

Neugierde und Blödheit

Wer jetzt nur Bahnhof verstanden hat, dem helfe dies: Bei dem Wort Neugierde lugt das Männchen forschend in die Öffnung einer riesigen Röhre. Bei Blödheit sitzt das Männchen wie auf dem Klo auf derselben Öffnung der Röhre. Neugierde und Blödheit haben jeweils eine Röhre und eine Buchseite für sich. Da sie aufeinander folgen, erzählen sie. Und sie erzählen komisch. Die Röhre verbindet die Worte – und so folgt das Eine auf das Andere, wie Tag und Nacht, Langeweile und Abenteuer, Schuld und Sühne – zu Wortpärchen.

Paare der Nachdenklichkeit

Die Wortpaare wiederum erhalten Bildpaare. Wort und Bild unterstützen sich in Mahlers Gedichten. Es entstehen Wort-Bild-Paare.

Sie entsprechen damit der klassischen Vorstellung der Intermedialität zwischen Sprachlichem und Visuellem: zwei Seiten, die im Panel des Strips oder des Comics oder eben in Mahlers visueller Poesie eine Seite bilden. Dabei kann man die Frage stellen: Wer erläutert wen? Erläutert bei Mahler das Bild den Text oder der Text das Bild? Sie können als Synergie gesehen werden. Nicht als das Eine oder das Andere, sondern als das Eine UND das Andere. Bei Mahler sind Wort und Bild Paare der Nachdenklichkeit. Sie sind eine grafische Verdichtung aus Röhren und Schalen, aus Tag und Nacht, aus gleichwertigen Partnern, die sich für das Generieren von Sinn beim Umblättern der Seite bewegen. Im Bewegen der Seite erzählen Mahlers Gedicht-Paare. Eine klassische Sprechblase für das Wort gibt es nicht. Dafür den weißen Raum der Seite, der zusammen mit Wort und optischer Erscheinung Mahlers Gedichten den Namen Visuelle Poesie anbei zu stellen scheint.

Dies spiegelt sich auch im von Nicolas Mahler, Rudi Klein und Heinz Wolf gegründeten Kabinett FÜR WORT UND BILD (heute Kabinett passage) wieder. Dieses dient zur Ausstellung von Publikationen rund um die Bild-/Text-Kombination, wie dem Comic und Ähnlichem.

Visuelle Poesie mit Humor

Nicolas Mahler bezeichnet sich selbst in einem Interview des Magazins Metropolis als Humorist. In seinen grafischen Gedichten ist sein Humor nur sacht und eher der Nachdenklichkeit seiner Worte untergeordnet. Hingegen zeugt sein grafischer Essay in der FAZ über den Comic und dessen Aufnahme im Kunst- und Literaturbetrieb von grafischer und wörtlicher Pointe – „Wenn die Hölle voll ist, kommen die Germanisten auf die Erde zurück.“

Wenn Sie Gefallen an der Vorstellung haben, was Hochmut mit einer Schale und Gegenwart mit einem fußmattengroßen Stückchen zu tun haben können, dann ist Ihr Weg zu Mahler vorgezeichnet.

Mehr Mahler

Nicolas Mahler ist besonders durch seine Graphic Novel und Literaturadaption Alte Meister (2011) nach Thomas Bernhard und durch seine Zeichnungen und Strips bekannt, die er in der NZZ am Sonntag, dem Satire-Magazin Titanic, der FAZ oder im Comic-Magazin Strapazin veröffentlicht. Darüber hinaus publiziert er in Frankreich, Kanada und den USA und ist somit auch international bekannt.

Ganz frisch erschien im November 2013 Der Mann ohne Eigenschaften – nach Robert Musil. Im neuen Jahr bringen Suhrkamp und Reprodukt zwei weitere Werke heraus: Der Weltverbesserer – nach Thomas Bernhard (Januar 2014) und Mahlers autobiografisches Werk Franz Kafkas nonstop Lachmaschine (März 2014) mit einem theoretischen Teil über Comic und Literatur.

Neben seinen Büchern zeichnet Nicolas Mahler auch Trickfilme wie bad job, flaschko – der mann in seiner heizdecke oder der park.

Eine aktuelle Ausstellung namens „Wer alles liest, hat nichts begriffen“ ist im Karikaturmuseum Krems vom 29. November 2013 bis zum 23. März 2014 zu besichtigen. Weiteres findet sich auf Mahlers Website.

Mahler, Nicolas: Gedichte
Insel-Verlag, 96 Seiten
Preis: 13,95 Euro
ISBN: 978-458-19385-2

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