„Haben Sie denn nicht mitbekommen, was sich da draußen abgespielt hat?“

Martin Beyer - Mörderballaden   Cover: Asphalt und AndersInspiriert von zeitgenössischen Liedern besingt Martin Beyer mythische, historische und fiktive Gewalttaten in seinen Mörderballaden. So richtig überzeugen kann aber nur die versteckte Zusatzgeschichte am Ende.

Von ALINE PRIGGE

Medea ist alt geworden. Sie sitzt in ihrer kleinen Wohnung in Frankfurt am Main und verschließt alle Ritzen und Schlitze mit Handtüchern und Klebeband. Aber das Licht kommt trotzdem noch durch die Türen und er hört einfach nicht auf zu klopfen. Sie hat die Kinder fortgeschickt, nach L.A. Aber sie senden keine Postkarten. Er soll heraus kommen, der alte Tschabo: „Trau dich, was sollen diese Spielchen noch?“ Sie ist eine lebende Legende, sagt man, und er ist ein Held und sie sind des Todes.

Martin Beyer nimmt uns mit auf eine Reise durch die Morde des letzten Jahrhunderts bis ins Heute. Wir sehen einen Drogensüchtigen an einer Orpheusaufgabe scheitern, folgen einem Physikstudenten nachts in den Wald, wenn er die Knochen seiner Geliebten ausgräbt, liegen neben Victor Jara im Estadio Chile, drücken auf den Abzug im Mordfall Hanussen, trauern mit einem Vater um sein verschwundenes Kind und springen mit Fred aus der Gondel.

Aber tun wir das wirklich?

Mord im Menü

In wohlproportionierten Häppchen serviert uns Martin Beyer seine 13 Kriminalgeschichten, die von Musikern wie The Cure, Glen Phillips und Victor Jara inspiriert sind. Da hockt eine gealterte Medea und preist Jasons Fresse als Frankfurts beste Adresse, eine einsame Norwegerin liegt blutend in einer Gasse und zwei Männer verzweifeln an der Banalität der menschlichen Wünsche.

Was zu Beginn noch einfallsreich und schnoddrig daher kommt, bekommt durch den routinierten Gebrauch von Zeitsprüngen und Wiederholungen schnell einen schalen Beigeschmack. Die Mordarten und möglichen Motive werden wie auf einer Speisekarte präsentiert und der Ausgang der Geschichte zumeist vorgekaut.

Mythos, Begierde, Macht, Trauer, Suizid

Bereits im Inhaltsverzeichnis darf man sich die schmackhafteste Kategorie aussuchen, oder die Reihenfolge, wie in einem Fünf-Gänge-Menü, stringent befolgen. Es sind durchaus auch einige Leckerbissen dabei: So gelingt es Beyer leichtfüßig die Verwirrung des Drogensüchtigen und die Sturheit des Vergewaltigers überzeugend darzustellen. Die auf reale Ereignisse zurückgreifenden Erzählungen bestechen durch Liebe zum Detail, was ihnen in gewissem Maße Authentizität verleiht und auch die Vielfalt der Geschichten regt zum Weiterlesen an. Doch wie auch beim Essen ist man nach zu viel der gleichen Kost schnell satt. Man ist übersättigt von Metaphern und Wiederholungen, von Andeutungen und Auslassungen und von Oberflächlichkeit.

Hinter den Türen …

… bewegen wir uns durch einen Nebel von Andeutungen. Die Gefühle und Beweggründe von Opfer und Täter werden fast immer nur oberflächlich betrachtet. Eigentlich kein Problem, Raum für eigene Interpretationen ist immer gern gesehen, doch die knapp gehaltenen Beschreibungen von Gefühlszuständen und dem Innenleben der Personen verhindern fast jede Identifikation mit den Figuren. Wir liegen, wir trauern und wir springen mit ihnen, aber eher, wie in einem halb vergessenen Fiebertraum.

Hierzu passt dann auch die letzte Erzählung, die sich in ihrem Stil humorvoll von allen bisherigen abhebt. Ein Mord ist geschehen, doch keiner hat es mitbekommen. In drei Momentaufnahmen, die dem Buch ein amüsantes Ende geben, erfahren ein verkaterter Alki ohne Hose, dafür mit Luftgewehr, ein abgehalfterter Versicherungsangestellter und ein von einer Schreibblockaden geplagter Schriftsteller von dem Mord vor ihrer Haustür und verändern die Sicht, auf alle bisherigen Erzählungen.

Martin Beyer: Mörderballaden
asphalt&anders Verlag, 170 Seiten
Preis: 14,90 Euro
ISBN: 978-3-941639-09-6

Kommentar verfassen