Bekanntheit erlangte sie mit 224 filmischen Geschmacksübertretungen, deren Titel zum Beispiel Butt Sex Bonanza, Grand Theft Anal 11 oder Bitchcraft 4 lauten. Doch bereits während ihrer aktiven Zeit als Genitalakrobatin gelang Sasha Grey der Spagat zwischen Erwachsenenunterhaltung und popkulturellem Mainstream. Nach ihrem Rückzug aus der Pornoindustrie 2011 erschien ihr erstes Buch Neü Sex, eine Sammlung von Fotos und Essays. Jetzt hat sie mit The Juliette Society einen Roman vorgelegt, in dem es, wenig überraschend, wieder um Sex geht.
von KAI FISCHER
Um es gleich vorwegzunehmen: Vergleicht man The Juliette Society mit E.L. James’ 50 Shades-Trilogie wird schnell klar, dass Grey den ambitionierteren Roman geschrieben hat. Gemessen an der Tradition erotischer und pornographischer Literatur ist The Juliette Society allerdings nur Durchschnitt. Im Mittelpunkt des Romans steht die Ich-Erzählerin Catherine, die in einer Beziehung mit ihrem Freund Jack lebt. Während sie im sechsten Semester Filmwissenschaft studiert, arbeitet Jack als Wahlkampfhelfer für einen zukünftigen Senator. Weil er alle Merkmale eines Workaholics aufweist, fühlt sich Catherine zunehmend vernachlässigt und flüchtet in erotische Tagträume, die im Verlauf des Romans handfeste Wirklichkeit werden. Catherines Neugier auf neue, auch deviante Formen geschlechtlicher Zweisamkeit (oder Dreisam-, Viersam- oder Zwölfsamkeit) überfordert wiederum Jack, der sich gekränkt zurückzieht. Von der Last ihrer Beziehung vorläufig befreit, gibt Catherine ihrer Experimentierlust nach, was sie schlussendlich zu der titelgebenden Juliette Society führt, einem „Fortune-500-Fickerclub“, in dem die Reichen und Mächtigen ihren ungezügelten Phantasien nachgehen.
Ein schlimmes Ende
Dass Catherine gegen Ende nur knapp dem Tod entgeht, ist im besten Fall eine wenig glaubhafte, im schlimmsten Fall eine ärgerliche Pointe. Ärgerlich daran ist nicht nur die ideologische Implikation, wonach sich die Gefahr, der sich Catherine aussetzt, als Strafe für ihr sexuelles Verhalten deuten ließe und der sie nur entgeht, indem sie sich auf ihre monogame Zweierbeziehung mit Jack besinnt. Ärgerlich ist auch, dass es keine anderen plausiblen Gründe für ihre Entscheidung gibt, mit Jack zusammenzubleiben. Abgesehen davon, dass er einen schönen Schwanz und ein beeindruckendes Stehvermögen zu besitzen scheint, ist Jack nämlich die mit Abstand uninteressanteste Figur. Während Catherine eine Entwicklung durchmacht, bleibt Jack derselbe Langweiler wie zu Beginn des Romans. Dass ihre größte Angst darin besteht, er könne etwas über ihre Phantasien und Erlebnisse erfahren, spricht Bände und verweist auf den entscheidenden Mangel von The Juliette Society. Der Roman kann sich nicht wirklich entscheiden, was er eigentlich erzählen will: eine sexuelle Coming-of-Age-Geschichte oder eine Geschichte über die Abgründe des Verhältnisses von Sex und Macht, wofür die Juliette Society beispielhaft steht.
Show, don’t tell!
Sprachlich und erzählerisch hingegen vermag der Roman stellenweise durchaus zu überzeugen. So bedient sich Catherine für die Schilderung von Orgien oder anderen sexuellen Akten eines angemessen wüsten Vulgärvokabulars. Da wird gepoppt, hart gestoßen, feste gefickt und hineingebolzt, dass es eine Freude ist. Auch die lange Beschreibung der verschiedenen Aggregatzustände männlichen Ejakulats ist sehr gelungen. An den Stellen jedoch, wo es um die transgressiven Momente von Sexualität geht, etwa die Aufgabe der eigenen Persönlichkeit zugunsten einer ekstatischen Erfahrung, versagen die sprachlichen Mittel der Ich-Erzählerin. Zu diesem Zweck verfällt die Erzählerin auf einen plumpen erzählerischen Trick. Den Roman durchziehen zahlreiche Verweise auf Filme, denen häufig eine deskriptive Funktion zukommt. Wird eine Orgie beschrieben, nennt sie Eyes Wide Shut, schildert sie ihr Aufkeimen masochistischen Begehrens, wird auf Belle de jour verwiesen. Zwar ist es plausibel, dass eine Studentin der Filmwissenschaft ein solches Referenzsystem benutzt, seine Verwendung hingegen ist häufig ungelenk. Das allein wäre schon nervig, wenn man nicht zusätzlich ständig das Gefühl hätte, die Ich-Erzählerin wolle mit ihrem filmgeschichtlichen Wissen beeindrucken. Es genügt nämlich nicht, nur den Film zu nennen; mindestens der Regisseur muss erwähnt sowie eine Nacherzählung des Films geliefert werden. Das kann nun zu zweierlei führen: Erstens, man fühlt sich als Leser nicht ernst genommen; zweitens, es drängt sich der Verdacht auf, dass die Schriftstellerin Sasha Grey nicht über die technischen Mittel verfügt, es anders zu machen. Von der Devise „Show, don’t tell“ macht Grey leider keinen Gebrauch.
Dennoch hat Sasha Grey einen entscheidenden Fehler vermieden. Ihre Ich-Erzählerin ist in Bezug auf Sex keine naiv Blödsinnige, die angeleitet von einem geheimnisvollen Fremden plötzlich ihre natürliche Sexualität entdeckt. Catherine entscheidet sich aus eigenem Antrieb dazu, neue Formen der Sexualität auszuprobieren. Darin zeigt sich eine Selbstbestimmtheit, die ihr der Roman am Ende unverständlicherweise nicht lassen will.
Das ist ein Buch, das ich wohl eher nicht lesen würde. Dafür habe ich herzhaft über die Titel gelacht: Butt Sex Bonanza, Grand Theft Anal 11 oder Bitchcraft 4. Damit würde ich mich ungern beim Lesen in der Öffentlichkeit sehen lassen. 😉
ich hatte das buch in meiner buchhandlung schon mal angelesen und dann doch wieder zurück gestellt. deine besprechung hat mich doch wieder neugierig gemacht… schaumermal. in ca. zwei stunden stehe ich ja wieder mal bei meiner buchhändlerin… 😉
Dein Lakonismus ist mal wieder beeindruckend, Kai. Sehr amüsante Rezension, die einem nur mittelmäßig gelungenen Roman noch so viel Spaß abtrotzt!