Underdogs und Pornoqueens

Ana Paula Maia - Krieg der Bastarde   Cover: A1 VerlagWie wird man eigentlich zum Teil einer Geschichte? Noch dazu zum Teil einer Geschichte voller kleinerer und größerer Verbrechen? Durch große Taten, Glück, Pech oder einfach nur Zufall? Ana Paula Maias Krieg der Bastarde ist kein epischer Kampf, sondern nur eine Reihe von Verwicklungen, die „das Chaos der Expansion“ entfesseln und niemandem erlauben, ihm zu entkommen. Wer nach Aufklärung sucht, ist hier an der falschen Adresse. Wer sich ins alltägliche Chaos stürzen will, wird sich dem Sog dieses Romans nicht entziehen können.

von SOLVEJG NITZKE

Ein Kriminalroman, noch dazu ein brasilianischer und darüber hinaus der einer Autorin, weckt gewisse Erwartungen: Gewalt, Erotik, glühend heiße Nächte, exotische Schönheiten und der Rhythmus Südamerikas – wer danach sucht, wird in Krieg der Bastarde fündig. Allerdings ist alles (anders als es das Bild der Autorin nahelegt) ein wenig kleiner, ein wenig mittelmäßiger, ein bisschen weniger glamourös und sexy. Ja, es ist heiß in der Stadt, aber das führt vor allem dazu, dass alle schwitzen und ständig duschen müssen. Ja, es geht gewalttätig zu, aber es sind nicht die gefährlichen Banden aus den Favelas, die den Krieg führen. Es ist eher ein Kleinkrieg ohne klar definierte Gegner. Schönheiten gibt es zwar, aber die exotischste von allen, Greice Sally, die legendäre Pornodarstellerin und Schließmuskel-Artistin, ist, wie könnte es anders sein, nur auf DVD verfügbar. In der Stadt des Chaos bleibt eine gewisse Ordnung immer erhalten, einfache Männer werden eine solche Frau kaum jemals direkt zu Gesicht bekommen und wenn, dann sollten sie sich höllisch in Acht nehmen, dass sie niemand erwischt. Mittelmäßige Pornodarsteller und erstklassige Boxerinnen, Kleinganoven und große Gangster – alle suchen ihr Glück und alle sind Glieder einer Kette von Ereignissen, die so profan erscheint und doch so viel Bedeutung für sie alle hat.

Der ganze Unterschied

Wenn man etwas begehrt, was einem nicht zusteht oder sogar einfach nimmt, was einem anderen, mächtigeren Mann gehört, drohen Chaos und Tod. Ganz besonders, wenn man nur die Hand nach seinem (vermeintlichen) Glück auszustrecken braucht. Amadeu, der passable Pornodarsteller, begeht diesen fatalen Fehler. Dabei sieht alles so einfach aus. Eigentlich will er sich Geld leihen, aber Salvatore – einer der größeren Gangster – erleidet einen Herzanfall. Auf seinem Tisch bleibt eine rote Nylontasche zurück, randvoll mit Kokain: „Dreißig Sekunden genügen, um an göttliche Vorsehung zu glauben. Und an die kleinen weißen Päckchen in der roten Tasche. Ihm lacht das Glück zu, ein Mund mit vielen weißen Zähnen und sinnlichen Lippen.“ Von Dieben und Mördern zu stehlen, erscheint Amadeu angesichts des Reichtums und der Freiheit, die ihm dieser ‚Fund‘ beschert, das geringste Übel. Endlich kann er der Mittelmäßigkeit entfliehen und mit der Frau, die er liebt, ein neues Leben beginnen. Für sie könnte er ein Held werden. Er muss nur zugreifen, „sein Glück beim Schopf packen, egal ob illegal.“ Doch Amadeus kleine Tat bringt einen Stein ins Rollen, der wie der berühmte Schmetterlingsflügelschlag einen wahren Sturm, bzw. in diesem Fall einen Krieg, auslöst.  Doch in diesem Krieg gibt es nichts zu gewinnen, für Amadeu am allerwenigsten.

Seinen Fund an den Mann zu bringen, ohne die Aufmerksamkeit auf sich selbst zu lenken, stellt sich als weitaus schwieriger dar, als Amadeu gehofft hatte. Doch irgendwie mogelt er sich durch und entkommt den Gangstern. Nur um von einem Taxi, in dem ausgerechnet sein Freund Horácio sitzt, überfahren zu werden. Zufälle gibt’s … Hier geht die Geschichte aber erst richtig los. Seine Geliebte, die Boxerin, Auftragskiller und der Angestellte einer Videothek suchen Amadeu, das Geld und den Rest der Drogen, während sie gleichzeitig versuchen, ihr Leben zu führen und irgendwo ein kleines Stück vom Glück zu finden. Wohin das führt? Nirgendwohin, das ist ja das Schöne.

„… ein etwas glanzloser, armseliger Statist“

Krieg der Bastarde ist eine Geschichte ohne Helden. Keiner ist so richtig gut und keiner ist so richtig böse, man kann Verständnis für die Figuren und ihre Taten haben oder auch nicht. Aber gerade der Umstand, dass dieser Roman keinen (bedeutsamen) Anfang, Mittelpunkt, oder gar ein Ziel hat, macht ihn zu so einem unglaublichen Lesevergnügen. Warum sollte es auch in einer Welt, in der alles so sein kann, wie es gerade ist, aber auch anders, immer einen Guten und einen Bösen geben, einen Helden und sein (zu rettendes) Mädchen? Manchmal passieren Dinge einfach und dann sitzt man am Ende da und ist bloß „noch ein bisschen schlechter gelaunt“. Verdient man genug, kann man sich damit abfinden. Worum es geht, ist zu überleben, übrig zu bleiben und im besten Fall ein bisschen Geld beiseite zu schaffen. Zu profan für einen Roman? Keineswegs, denn auch ein Statist spielt eine Rolle: „Einer muss es aber tun, einer muss diese ganze Geschichte erzählen.“ Aber nicht, weil die Welt sich sonst nicht ungeniert weiterdreht, sondern um der Trostlosigkeit und Langeweile zu entkommen. „Ich könnte es auch sein lassen, doch was bleibt mir anderes übrig, wenn ich der Andenkette dabei zusehe, wie sie krachend zum Meer hinabfällt?“

Ana Paula Maia hat mit Krieg der Bastarde einen Roman geschrieben, der in bester Pulp-Manier nichts will und alles kann. Figurenensemble und Plot sind gleichermaßen skurril wie profan, was den Roman aber darüber hinaus auszeichnet, ist seine Erzählhaltung. Der armselige Statist bleibt nicht nur übrig, sondern verliert, fast wie ein Stalker, nie den Überblick und bleibt doch völlig ohne Einfluss. Ungefähr so fühlt sich auch das Lesen an. Keine der Figuren stellt sich besonders klug an und immer dann, wenn jemand versucht, sein Leben in die Hand zu nehmen, geht alles schief. Das kann man deprimierend finden, muss man aber nicht. Wenn man Pech hat, wird man überfahren, wenn man gerade einen Haufen Geld gemacht hat, und wenn man Glück hat, findet man ein bisschen Gold im Hundehaufen des Chihuahuas. Am besten versucht man sich rauszuhalten.

Wer will, kann hier sicher auch eine große Gesellschaftskritik oder, wie es der Klappentext verspricht, ein Abbild der „Halbwelt der modernen brasilianischen Großstadt“ finden. Die Leseanleitung gibt der Roman selbst in seinem Motto: „… es ist für mich gleich, von wo ich beginne; denn dorthin komme ich wieder zurück (Proklos)“. Statt sich also auf eine Sinnsuche zu begeben, kann man diesen Roman lesen, wie man einem Dominospiel zuschaut – neugierig darauf, welcher Stein als nächstes umfällt und ohne Interesse an einem Sieg.

Ana Paula Maia: Krieg der Bastarde
A1 Verlag, 224 Seiten
Preis: 18,80 Euro
ISBN 978-3-940666-42-0

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